Es ist ein beschämendes Erbe für die Pfarrei Liebfrauen in Trier, so drückt es Pastor Markus Nicolay aus. Im Figurenschmuck des Eingangsportals der gotischen Liebfrauenkirche werden Juden gegenüber Christen auf schlimmste Weise herabgewürdigt, schreibt die Pfarrei Liebfrauen auf ihrer Internetseite. Die Pfarrgemeinde will eine breite Diskussion in der Stadt anregen, denn, so Pastor Nicolay, "die Liebfrauenkirche ist Unesco Welterbe und damit das Erbe aller Menschen in Trier."
Wie soll die Pfarrgemeinde mit dem historischen, in Stein gemeißelten Erbe umgehen? Eine Vortragsreihe mit Diskussionen zu Antisemtismus in Geschichte und Gegenwart soll Denkanstöße geben und dazu beitragen, eine Lösung zu finden - mit dem Titel "Darüber müssen wir reden!" Markus Nicolay, Pfarrer der Gemeinde Liebfrauen Trier sagt, "Ich finde es einfach ein Stück belastend, dass das die Begrüßungsfiguren sind, wenn man Liebfrauen durch das Hauptportal betritt. Im 13. Jahr des Missbrauchsskandals dürfen wir auch Kirche nicht mehr als triumphierend darstellen."
Großes Interesse an Diskussion
Die Karten für die erste Veranstaltung in dieser Reihe waren sofort vergeben. Der Saal der Dominformation war bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 70 Menschen waren gekommen. Kunsthistorikerin Insa Christiane Hennen sprach über die Stadtkirche Wittenberg, ebenfalls Unesco Welterbe. Die Gemeinde dort hat ein judenfeindliches Relief aus dem Jahr 1290 in ein Mahnmal gegen Antisemitismus umgewandelt. Doch trotz einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs gehen die Diskussionen weiter, teils auch mit beleidigenden Anfeindungen der Vertreter unterschiedlicher Meinungen, ob das Relief dort bleiben soll, wo es ist, oder entfernt werden soll. Die Kirchengemeinde Liebfrauen in Trier hofft, dass es hier eine friedliche Lösung gibt.
Antisemitismus in gotischem Figurenschmuck
Seit den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts waren französische Bildhauer mit dem Bau der Trierer Liebfrauenkirche im frühgotischen Baustil beschäftigt. Wie damals üblich, war das Eingangsportal mit vielen Skulpturen geschmückt, die christliche Themen aus der Bibel darstellten - eine Art Bilderbibel für die vielen Menschen, die nicht lesen konnten. Aber, die mächtige katholische Kirche verbreitete so auch ihre Meinung.
Weit verbreitet bei gotischen christlichen Kirchen sind Darstellungen der christlichen Kirche und der jüdischen Religion in Gestalt junger Frauen als Ecclesia und Synagoge. Die christliche Kirche wird als strahlende Königin dargestellt. Die Synagoge hat die Augen verbunden und hält einen zerbrochenen Stab in der Hand. Der Triumph und die Überlegenheit der christlichen Kirche gegenüber der jüdischen Religion sollte so im Mittelalter bildlich dargestellt werden.
Ecclesia und Synagoge - berühmte Beispiele
Frauenfiguren, die die katholische Kirche und die jüdische Religion als Ecclesia und Synagoge darstellen, wurden im Mittelalter in vielen Portalen gotischer Kathedralen einander gegenübergestellt. So ist es zum Beispiel bei der berühmten Kathedrale Notre Dame in Paris, beim Straßburger Münster, der Kathedrale von Metz, dem Bamberger und dem Freiburger Dom.
Antisemitischer Skulpturenschmuck nicht nur im Mittelalter
Noch im 20. Jahrhundert wurde die Darstellung der Ecclesia und der Synagoge in einem Mosaik der Basilika Maria Laach aus dem Jahr 1910-12 in der Eifel aufgegriffen. Sogar nach dem Nationalsozialismus wurden solche die jüdische Religion herabwürdigenden Skulpturen noch neu geschaffen, zum Beispiel 1947 bis 1953 für den Hochaltar des Passauer Doms.
Blick aus der Gegenwart auf den gotischen Skulpturenschmuck in Trier
Aus heutiger Sicht ist die antijüdische Botschaft im gotischen Kirchenportal ein Problem für die katholische Kirchengemeinde Liebfrauen. Gerade vor dem aktuellen Hintergrund des Terroranschlags der Hamas auf Israel und den Morden an so vielen jüdischen Familien an einem Tag, wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Viele jüdische Menschen fürchten jetzt wieder um ihr Leben, haben Angst vor Anschlägen, auch in Deutschland. Jüdische Einrichtungen müssen von der Polizei bewacht werden. Dazu kommt noch, dass in Deutschland immer mehr Menschen rechtsradikale Parteien wählen, die den Holocaust zumindest verharmlosen oder ganz ignorieren.
Sanierung des Westportals der Trierer Liebfrauenkirche steht bevor - Figuren entfernen?
Im kommenden Jahr soll der Haupteingang der Trierer Liebfrauenkirche, die seit 1986 zum Unesco Welterbe gehört, restauriert werden. Wäre es denkbar, im Zuge der ab dem kommenden Jahr geplanten Sanierung des Portals der Liebfrauenkirche Trier die jetzt umstrittenen Frauenfiguren Ecclesia und Synagoge zu entfernen oder durch Darstellungen ersetzen, die beide Religionen als gleichwertig darstellen?
Die Figuren im Portal der Liebfrauenkirche sind nicht die gotischen Originale. Sollte ein Schild mit einer Erklärung im Kirchenportal aufgehängt werden? Das alles muss auch mit der Unesco abgestimmt werden, weil die Liebfrauenkirche zum Welterbe gehört. In der zweiten Hälfte des kommenden Jahres soll mit der Sanierung des Portals der Liebfrauenkirche begonnen werden. Bis dahin will die Kirchengemeinde entscheiden, was sie mit den Frauenfiguren Ecclesia und Synagoge macht. "Wir dürfen die Geschichte nicht einfach tilgen", sagt Pfarrer Markus Nicolay. "Wir wollen der nächsten Generation zeigen, wie es in einer Stadt wie Trier zu antijüdischen Strömungen in der Bevölkerung gekommen ist." Die Vortragsreihe, die historische Hintergründe erklärt, ist dazu ein erster Schritt.
Vortragsreihe soll Diskussion in Trier anregen
Die katholische Kirchengemeinde Liebfrauen in Trier, die eine gute Beziehung zur jüdischen Gemeinde Trier pflegt, will zur Diskussion anregen und es den Mitgliedern der Kirchengemeinde und allen anderen möglich machen, sich eine Meinung zu bilden. Sieben Vorträge gibt es bis zum 23. April 2024.
Katholizismus und Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart
Dabei geht es um vergleichbare Fälle, wie die Diskussion um 1290 entstandene antijüdische Darstellungen an der Fassade der Stadtkirche in Wittenberg, die sogar den Bundesgerichtshof beschäftigt haben. In Wittenberg hat die Kirchengemeinde das Schandmal des antisemitischen Reliefs in ein Mahnmal gegen Antisemitismus umgewandelt. Der Hintergrund wird erklärt.
Insa Christiane Hennen hat sich als Kunsthistorikerin in Wittenberg mit dem Thema beschäftigt. Sie ist auch in der Wittenberger Kirchengemeinde engagiert und saß im Stadtrat. "Es geht darum, die Ursachen für diese Bilder zu finden, warum gibt es diese Bilder", sagt sie. "Man muss sie aus der Zeit heraus verstehen. Wenn man sie abräumt, hat man das Problem nicht gelöst." In Wittenberg wird jetzt mehr als früher über Bildungsprogramme gesprochen, die zum Mahnmal angeboten werden sollen, sagt die Kunsthistorikerin.
Der nächste Vortrag in der Reihe ist am 28. November. Dann geht es um die Beziehung der katholischen Kirche und der jüdischen Religion seit den 1960er Jahren. Jüdisches Leben in Trier vom Mittelalter bis heute ist das Thema eines weiteren Vortrags. Es geht auch um Katholiken im Nationalsozialismus, zum Beispiel wurden 1933 SS-Männer bei der Trierer Heilig Rock Wallfahrt als Ordner eingesetzt. Die Veranstaltungen sollen Denkanstöße geben und eine Diskussion in Trier anregen - das Ergebnis ist offen.
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Der Tenor der ersten Diskussion war, dass die Figur der Synagoge nicht einfach aus dem Portal der Liebfrauenkirche entfernt werden soll. Aber: sie sollte erklärt werden, um zu verstehen, wie Judenhass und Antisemitismus entstand und angefeuert wurde. Damit die Geschichte sich nicht wiederholt.