Der Angeklagte vor der ersten Urteilsverkündung beim Prozess zur Amokfahrt in Trier im August 2022.

Drei Optionen möglich

Was passiert, wenn der Trierer Amokfahrer schuldunfähig ist?

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Solveig Naber
Foto von Solveig Naber, Redakteurin bei SWR Aktuell im Studio Trier

Der Trierer Amokfahrer steht wieder vor Gericht, weil seine Schuldfähigkeit neu verhandelt werden muss. Ein Rechtsexperte zeigt auf, welche Folgen ein neues Urteil haben könnte.

SWR Aktuell hat mit dem ARD-Rechtsexperten Christoph Kehlbach über den zweiten Prozess gegen den Trierer Amokfahrer gesprochen. Der war nötig geworden, weil der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe das erste Urteil des Landgerichts Trier teilweise aufgehoben hatte. Das Landgericht Trier habe seine Annahme, der Mann habe im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt, nicht schlüssig und umfassend auf die Tat bezogen begründet. Von der Neuauflage des Prozesses nicht betroffen sind laut BGH "die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen". Sprich: Dass der Angeklagte der Täter war.

Der Jurist Christoph Kehlbach ist SWR-Rechtsxperte und Mitglied der ARD-Rechtsredaktion in Karlsruhe.
SWR-Rechtsexperte Christoph Kehlbach.

SWR Aktuell: Nach dem BGH-Urteil - Was genau wird vor dem Landgericht Trier jetzt verhandelt?

Christoph Kehlbach: Was noch mal geprüft wird, ist die Frage der Schuldfähigkeit des Amokfahrers. Da wird zum Beispiel noch mal geprüft werden, wie die Schizophrenie, unter der der Angeklagte leidet, sich auswirkt. Ob er möglicherweise während des Tatzeitpunktes einen Schub gehabt hat. Der Mann hatte auch Alkohol getrunken. Der Alkoholwert im Blut muss noch mal zurückgerechnet werden auf den Zeitpunkt der Tat.

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Wäre er schuldunfähig, hat das Auswirkungen auf eine Bestrafung.

Zudem muss geklärt werden: Gibt es da möglicherweise eine Wechselwirkung zwischen der Alkoholisierung und der Schizophrenie? Das alles hat Auswirkungen auf die Beurteilung seiner Schuldfähigkeit. Das hatte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs das Gericht in Trier nicht ausreichend geprüft.

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Es gibt ja im deutschen Strafrecht das Prinzip, dass ein Angeklagter für eine Tat nur dann verurteilt werden kann, wenn er bei Begehung der Tat auch wirklich schuldhaft gehandelt hat. Das heißt, er muss zum Zeitpunkt der Tat überhaupt in der Lage sein, das Unrecht der Tat zu erkennen und auch nach dieser Einsicht zu handeln. Und wenn das nicht der Fall ist, dann wäre er schuldunfähig. Und wenn das nur eingeschränkt der Fall ist, dann wäre er vermindert schuldfähig. Und das hat dann Auswirkungen auf eine Bestrafung.

SWR Aktuell: Welche Möglichkeiten gibt es denn da?

Kehlbach: Es kann sein, dass es im Ergebnis zu einer vollen Schuldfähigkeit, zu einer vollen Schuldunfähigkeit oder zu einer verminderten Schuldfähigkeit kommt. Diese drei Optionen sind möglich. Wenn das Gericht jetzt zum Beispiel zu dem Ergebnis kommt, dass zum Zeitpunkt der Tat der Angeklagte voll schuldunfähig war, dann muss das Gericht den Angeklagten freisprechen. Denn ohne Schuld kann man niemanden verurteilen. Es ist aber noch offen, zu welchem Ergebnis das zweite Verfahren jetzt führt.

SWR Aktuell: Was bedeutet es konkret, wenn der Amokfahrer schuldunfähig wäre?

Kehlbach: Wenn Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass zum Zeitpunkt der Tat der Mann überhaupt nicht in der Lage, das Unrecht seiner Handlungen einzusehen oder danach zu handeln, dann würde er strafrechtlich freigesprochen werden. Das Gericht hat dann aber noch die Möglichkeit, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Wenn es davon ausgehen muss, dass er weiterhin gefährlich ist.

Bliebe die Möglichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Heißt, wenn aufgrund dieser Prägung und seiner Schizophrenie zu erwarten ist, dass er weitere rechtswidrige Taten begehen wird und eben noch gefährlich ist. Dann ist es zwingend so, dass das Gericht anordnen muss, dass er dann in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Das ist dann aber etwas anderes als eine strafrechtliche Verurteilung.

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SWR Aktuell: Könnte der Amokfahrer eines Tages auf freien Fuß kommen?

Kehlbach: Würde das Gericht beim Angeklagten zum Ergebnis kommen, dass er schuldunfähig wäre, dann bliebe nur diese Möglichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Sofern die Voraussetzung vorliegt, dass er weiterhin gefährlich ist für die Allgemeinheit.

Wenn dann in dem psychiatrischen Krankenhaus zum Beispiel eine Therapie dieser Schizophrenie gelingen würde und die Sachverständigen sagen, die Schizophrenie ist geheilt, dann würde er auf freien Fuß kommen.

Eine nachgewiesene Schuld ist zwingende Voraussetzung für eine Verurteilung.

Er ist dann nicht strafrechtlich verurteilt. Er ist, um in diesem Bild zu bleiben, auch nicht mehr gefährlich für die Allgemeinheit. Er würde dann freikommen. So schwer das für viele, vor allem für die Opfer und die Angehörigen, auch nachvollziehbar sein mag.

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Aber es ist ein fester Grundsatz: Eine nachgewiesene Schuld ist zwingende Voraussetzung für eine Verurteilung. Und wenn keine Schuld bei einem Täter vorliegt, selbst wenn er etwas Schlimmes getan hat, wenn er das eben nicht schuldhaft getan hat - kann es eben keine Verurteilung geben. Das ist festes Prinzip im Strafrecht.

SWR Aktuell: Ist das jetzt das letzte Urteil oder können wieder Rechtsmittel eingelegt werden?

Kehlbach: Ja, gegen das neue Urteil können auch noch mal Rechtsmittel eingelegt werden. Was jetzt noch mal geprüft wird, ist ja die Frage der Schuldfähigkeit. Das wird neu verhandelt und hat Auswirkungen auf die Strafe oder sogar einen möglichen Freispruch, je nachdem, zu welchem Ergebnis das Gericht bei diesem Verfahren kommt.

Auch gegen ein neues Urteil ist es möglich, noch mal in Revision zu gehen - für alle Beteiligten.

Dieses Ergebnis kann aber auch noch mal überprüft werden, wieder in der Revision. Zuständig für diese Frage ist dann wieder der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Wichtig ist: Das, was jetzt noch mal neu geprüft werden muss, ist noch nicht rechtskräftig entschieden. Grundsätzlich gilt in Deutschland für den Rechtsweg, dass man solche Entscheidungen auch noch mal überprüfen lassen kann.

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Kehlbach: Das heißt, auch gegen ein neues Urteil ist es theoretisch möglich, noch mal in Revision zu gehen und zwar für alle Beteiligten, die dieses Revisionsrecht haben. Das heißt, auch die Staatsanwaltschaft könnte zum Beispiel in Revision gehen, wenn sie der Meinung ist, dass diese neue Prüfung zu einem falschen Ergebnis kommt. Genauso aber auch die Seite des Angeklagten.

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