Der Amokfahrer von Trier steht seit Dienstag wieder vor Gericht. Diesen Satz kann Wolfgang Hilsemer noch immer nicht richtig begreifen. "Was ist nur mit unserer Gerechtigkeit los?" habe er sich in den vergangenen Monaten immer wieder gefragt.
"Es wird gar nicht mehr an die Opfer gedacht. Es geht nur noch um den Mörder. Warum ist der krank, was hat er und warum hat er das gemacht? Der Bundesgerichtshof hat meiner Meinung nach vollkommen versagt", stellt Hilsemer verbittert fest.
Bundesgerichtshof stellte Mängel im Urteil zur Amokfahrt fest
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil des Trierer Landgerichts zum Teil aufgehoben. Der Amokfahrer war 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Zugleich wurde die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet, weil er an einer paranoiden Schizophrenie leide. Er sei vermindert schuldfähig.
Der BGH hatte kritisiert, dass das Landgericht Trier in seinem Urteil die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht korrekt geprüft hatte. Daher kommt es jetzt zu einer Teil-Neuauflage des Prozesses gegen den Täter.
Wolfgang Hilsemer ist einer von 15 Nebenklägern in dem Prozess. Für das Verfahren sind vom Landgericht Trier zehn Verhandlungstage geplant. Obwohl alles wieder bei ihm hochkommt, wolle er trotzdem zu allen Prozessterminen kommen. "Ich werde zu allen Verhandlungstagen kommen. Das bin ich meiner Schwester und meinem Schwager schuldig."
Hilfe von Familie und Psychologen
Auch wenn es ihm schwerfalle, er werde das schon schaffen - auch mit der Unterstützung seiner Familie. Wenn es ihm ganz schlecht gehen sollte, werde er mit Psychologe Bernd Steinmetz sprechen, der die Hinterbliebenen und Angehörigen der Amokfahrt betreut. "Der ist jederzeit für uns da und macht seine Arbeit sehr gut", so Hilsemer.
Ganz spurlos werden die Verhandlungen wohl nicht an Wolfgang Hilsemer vorbeigehen: "Ich werde wieder schlaflose Nächte haben. Die Nacht vor der Verhandlung wird schlimm und die Nächte danach werden schlimm. Wenn ich das Gesicht des Angeklagten sehe, dann kommen mir auch manchmal Tränen der Wut."
Landgericht Trier verhandelt erneut Revision Amokprozess: Für Betroffene in Trier bleibt die Frage nach dem "Warum"
Am Landgericht Trier beginnt kommende Woche der Revisionsprozess zur Trierer Amokfahrt. Es wird eine emotionalen Belastung für Betroffene, sagt die Stiftung Katastrophennachsorge.
Äußert sich der Amokfahrer erstmals vor Gericht?
Nach Recherchen des SWR besteht die Möglichkeit, dass sich der 54-Jährige in diesem Prozess erstmals auch äußern könnte. Konkrete Angaben, in welchem Umfang oder in welcher Art wollten die Prozessbeteiligten vorab nicht machen.
Wolfgang Hilsemer vermutet, dass ein taktisches Kalkül dahinterstecken könnte. "Es ist mir eigentlich total egal, was der sagt. Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich vermute ohnehin, dass das eine taktische Sache seines Anwalts ist."
Freispruch des Amokfahrers wäre "Horrorvision"
In dem neuen Prozess wird eine andere Kammer des Landgerichts Trier prüfen, ob der Amokfahrer schuldfähig war oder am Ende sogar freigesprochen werden muss. Selbst bei einem Freispruch käme der Angeklagte aber sehr wahrscheinlich nicht frei. Denn das Gericht hat dann die Möglichkeit, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen.
Aber allein die Vorstellung, dass der Täter am Ende strafrechtlich freigesprochen wird, sei für ihn eine "Horrorvision", so Hilsemer. "Das Wichtigste für mich ist, dass dieser Mensch nie mehr rauskommt - egal wo."
Sein Rechtsanwalt habe in seinem Plädoyer zu dem Angeklagten gesagt: "Sie werden Ihre Augen entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie schließen." Wenn es so kommt, sei das für ihn eine Befriedigung, so Hilsemer.
Gedenktag in Trier SWR-Reportage über Amokfahrt von Trier
Der SWR-Filmemacher Jürgen Schmidt hat sich mit Augenzeugen, Ersthelfern und Angehörigen von Opfern der Trierer Amokfahrt getroffen und sie interviewt. Die 45-minütige Reportage ist ab sofort in der ARD-Mediathek zu sehen.
Amokfahrt von Trier jährt sich in diesem Jahr zum vierten Mal
Bei der Amokfahrt in Trier am 1. Dezember 2020 starben fünf Menschen, darunter Wolfgang Hilsemers Schwester. Unter den Opfern war auch ein neun Wochen altes Baby. Zudem gab es Dutzende Verletzte und Traumatisierte. Im Oktober 2021 starb Wolfgang Hilsemers Schwager, der bei der Tat schwer verletzt worden war.