Wilhelm Reinhardt kann nachts nicht mehr gut schlafen. Seit Unbekannte vergangene Woche Hakenkreuze und die Worte "Scheißpack" und "Zigeuner" an das Haus seiner Familie geschmiert haben, hat der 85-Jährige Angst um seine Kinder und Enkel. "Innerlich ist etwas zerrissen bei mir, dass ich so etwas wieder mitmachen muss", sagt der Trierer. Denn die Hakenkreuze und Beleidigungen erinnern ihn an dunkle Zeiten.
Als Kind hat der Sohn einer jüdischen Mutter und eines Sinto miterlebt, wie seine Familie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. "Es kam keiner mehr zurück, die wurden alle im Konzentrationslager umgebracht", sagt Reinhardt. Er selbst überlebte den Terror versteckt in verschiedenen Kinderheimen: "Wenn ich diese Nazi-Schmierereien jetzt sehe, dann kommen mir wieder die Gedanken daran, was ich mitgemacht habe."
Mutter lässt Kinder nicht mehr alleine auf der Straße spielen
Wilhelm Reinhardt hat geschlafen, als es passiert ist. Seine Tochter Barbara hat alles mitbekommen. "Unser Labrador hat gegen 23:30 Uhr gebellt und wir sind hin, um zu schauen, was los ist", erzählt die junge Mutter. Als sie vor die Haustür gehen, hören sie aber nur noch, wie ein Motorroller wegfährt und entdecken die Schmierereien. "Ich denke, weil wir das Licht angemacht haben, wurden die Täter gestört und sind geflüchtet", sagt Reinhardt: "Vielleicht wäre sonst noch mehr passiert."
Familie erlebt häufiger Anfeindungen
Es wäre nicht das erste Mal, sagt die Triererin: "Wenn wir hier im Garten sitzen, werden wir als Dreckspack beschimpft. Wir wurden auch schon von Rechtsradikalen mit Flaschen und Steinen beworfen." Und in den vergangenen Jahren kämen solche Angriffe immer öfter vor.
Auch ihr Sohn werde beleidigt, wenn er auf der Straße spiele, zum Beispiel von Fahrradfahrern, die am Haus vorbeiradeln. Alleine dürfe ihr Kind daher nicht mehr nach draußen. "Ich habe Angst, dass er hier nicht mehr sicher ist. Dass ihm was passiert", sagt Barbara Reinhardt: "Man lebt in Schrecken und wird attackiert und man weiß nicht warum."
250 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund in der Region Trier
Auch Django Reinhardt vom Deutschen Landesrat der Sinti und Roma beobachtet einen zunehmenden Hass gegenüber den europäischen Minderheiten in Deutschland. "Die Stimmung kocht immer mehr hoch", sagt der Koblenzer Musiker, der auch mit den Trierer Reinhardts verwandt ist. Dass es immer mehr politisch motivierte Taten von Rechts gibt, belegen auch die Zahlen des Polizeipräsidiums Trier. 2023 haben Rechtsradikale in der Region rund 250 Straftaten begangen - mehr als in den Jahren zuvor.
Wahlplakate mit sinti-feindlichen Parolen beschmiert
Auch zwei Taten, die sich konkret gegen Angehörige der Sinti und Roma richteten, verzeichnete die Polizei in diesem Jahr. In Leiwen an der Mosel und in Wittlich seien entsprechende Beleidigungen gefallen. Djangos Sohn Marlon Reinhardt hat vor Kurzem in Koblenz Ähnliches erlebt. Dort hatten Unbekannte die Wahlplakate des Kommunalpolitikers mit sinti-feindlichen Parolen beschmiert. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung. Für Django Reinhardt ist es daher wichtiger denn je, "Flagge zu zeigen". Und das erwartet er auch von der Politik.
Bürgermeisterin spricht von "feiger, hinterhältiger Aktion"
Das war auch das Anliegen der Trierer Bürgermeisterin Elvira Garbes (Grüne), die die Familie eine Woche nach der Tat besucht hat. "Die Trierer Bürgerinnen und Bürger sind nicht so", sagt Garbes: "Das ist eine feige, hinterhältige Aktion, die wir aufs Schärfste verurteilen." Sie hofft nun auch, dass die Polizei die Tat schnell aufklärt. Dort heißt es, das Fachkommissariat für politische Kriminalität habe den Fall übernommen. Vielversprechende Spuren oder Hinweise auf die Täter gebe es aber bislang nicht, heißt es bei der Polizei. Und außer der Familie: keine Zeugen.
Immerhin: Die Polizei fährt nun häufiger Streife in der Straße. Und die Stadt hat in die Wege geleitet, dass die Schmierereien noch diese Woche entfernt werden. Es werde zudem darüber nachgedacht, Straßenlaternen aufzustellen, damit es nachts nicht mehr so stockfinster vor dem Haus der Familie ist. Ob sich Wilhelm Reinhardt und seine Kinder und Enkel dann wieder sicher fühlen werden? Der 85-Jährige weiß es nicht. Doch er hofft, dass er nie wieder Hakenkreuze an seiner Fassade sehen muss.