Wie kann ein neugeborenes Baby, das im Januar 1944 im Ghetto Lublin im von den Nazis besetzten Polen zur Welt kommt, überleben? Es kommt auch Christian Pfeil wie ein Wunder vor.
Als Baby im NS-Arbeitslager
Seine Mutter hätte ihn in ein Tuch eingepackt und immer zur Arbeit nach draußen mitgenommen, ihn nie in der Baracke zurückgelassen, erzählt er. Von 100 Babys, die wie er im Ghetto geboren wurden, seien 99 gestorben oder ermordet worden. "Man sagt, es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe." Gerade hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert.
Seine Eltern und sieben Geschwister, das älteste Kind war 13 Jahre alt, waren am 16. Mai 1940 von den Nazis aus Trier deportiert worden. Bis 1945 mussten sie in verschiedenen Konzentrationslagern Zwangsarbeit leisten, auch die Kinder. Sie überlebten. Verwandte von ihnen waren in Auschwitz ermordet worden.
Trotz allem kehrte die Familie Pfeil nach dem Krieg nach Trier zurück, es war eben schon seit drei Generationen ihre Heimat gewesen, sagt Christian Pfeil. Doch auch nach dem Krieg wurden sie als Sinti ausgegrenzt.
"Die Verachtung und Erniedrigung der Sinti und Roma war nicht nach dem Krieg vorbei. Ich habe es in der Schule gemerkt, in der Ausbildung, auf den Ämtern. Wir wurden behandelt wie der letzte Dreck." Erst 1982 erkannte die deutsche Bundesregierung an, dass Sinti und Roma Opfer des Nationalsozialismus waren, dass die Nazis das Ziel hatten, sie zu vernichten.
Morddrohungen und Rechtsextremismus
Trotz aller Widrigkeiten geht Christian Pfeil seinen Weg. Er wird Sänger und Gastronom. Als das Fernsehen Anfang der 1990er Jahre eines seiner politischen Lieder gegen Rechtsextremismus sendet, bekommt er Morddrohungen. Zweimal wurde sein Lokal in Trier verwüstet.
Er ist seitdem nie wieder als Sänger öffentlich aufgetreten. Er zog sich in die Eifel zurück, betrieb einen Landgasthof. "Diese Angst ist immer da", sagt Christian Pfeil.
Holocaust-Rede vor der UNO
"Diese Einladung nach New York war schon etwas ganz Besonderes.", sagt Christian Pfeil. Er sei überrascht gewesen und habe sich sehr gefreut, vor den Vereinten Nationen sprechen zu dürfen.
Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma habe ihn vorgeschlagen. Seit er in Ruhestand ist, spricht er regelmäßig als Überlebender des Holocaust bei Gedenkveranstaltungen oder mit Jugendlichen.
Holocaust-Überlebender aus Trier spricht vor UN Christian Pfeil: "Es ist wichtig, dass man immer wieder seine Geschichte erzählt"
Der Holocaust-Überlebende Christian Pfeil spricht im Rahmen des Holocaust-Gedenktages vor den Vereinten-Nationen in New York. Wir haben mit dem 80-jährigen Sinto gesprochen.
Dass er irgendwann einmal von den Vereinten Nationen als Redner eingeladen werden würde, das hätte sich Christian Pfeil als Kind nicht träumen können. Er wolle in New York über seine Lebensgeschichte und das Schicksal seiner Familie sprechen und über die Situation der Sinti und Roma in Osteuropa. Aber auch über die Gegenwart, in der Angriffe auf Juden und auch auf Sinti und Roma wieder zunehmen. Diese Entwicklung macht ihm Angst und er befürchtet und rechnet damit, dass sich die Geschichte wiederholt.
Zur aktuellen politischen Lage sagt Christian Pfeil, "Wenn man heute als Jude nicht mehr öffentlich seine Kippa oder den Davidstern tragen kann, ohne vielleicht angegriffen zu werden, dann ist es schon sehr erschreckend. So fing es 1936 an. Ich habe als Sinto sehr viel Angst, dass sich das wiederholen wird. Zuerst waren die Juden dran und dann kamen die Sinti und Roma. Die Zeit ist für mich erschreckend nah an 1936."
Holocaust-Rede in New York und Berlin
Es gibt immer weniger Überlebende des Holocaust, die noch als Zeitzeugen mit Jugendlichen reden können. Christian Pfeil hat vor ein paar Jahren in Auschwitz mit Jugendlichen über den Holocaust geredet. Nach seinem Auftritt am Freitag bei den Vereinten Nationen in New York wird Pfeil dann am kommenden Mittwoch beim Holocaust-Gedenken in Berlin sprechen.
Er will vor allem junge Menschen erreichen. "Jugend ist die Zukunft und die Jugend muss aufgeklärt werden", sagt er. "Ich rate jeder Klasse, einmal eine Gedenkstätte in einem früheren Konzentrationslager zu besuchen, denn die Jugend kann sich diesen Völkermord nicht vorstellen."