Harald Michels sitzt im Gerichtssaal 70 im Landgericht Trier. Der einstige Chef des Gesundheitsamtes Trier hatte den Amokfahrer keine zwei Stunden nach der Tat getroffen. Michels musste entscheiden, ob der Mann "gewahrsamsfähig" ist oder nicht. Also ob er in Arrest genommen werden kann.
Der 69-jährige Arzt hat seine Notizen aus der damaligen Untersuchung dabei. Michels hatte dem Angeklagten eine Blutprobe entnommen, um den Alkoholwert zu messen.
"Ich habe mich gewundert, dass er so ruhig wirkte"
Michels erzählt, er sei etwa zwei Stunden bei dem Amokfahrer gewesen und habe viel mit ihm gesprochen. Der Angeklagte sei nicht aggressiv gewesen und wirkte normal.
"Ich habe mich allerdings gewundert, dass er so ruhig und nicht aufgeregt oder aufgewühlt gewirkt hat nach so einer Tat", sagte Michels auf die Frage des Richters, wie der Angeklagte sich verhalten habe. Nur der Puls sei beim Amokfahrer zu diesem Zeitpunkt leicht erhöht gewesen.
Die Frage, ob er gemerkt habe, dass der Amokfahrer viel Alkohol getrunken hatte, verneinte der ehemalige Amtsrat. "Man roch den Alkohol, ja. Ich habe ihm aber ansonsten nicht angemerkt, dass er Alkohol getrunken hatte. Ich vermute, er war daran gewöhnt."
Zeugin schreit Amokfahrer an
Am Ende des fünften Verhandlungstages hörte das Gericht noch eine Zeugin, die den Amokfahrer einen Tag vor der Tat zufällig in Trier-Zewen getroffen hatte. Während der Befragung wandte sie sich an den Amokfahrer und schrie ihn an, warum er das getan habe. Der Angeklagte erwiderte nichts darauf.
Im Gerichtssaal schweigt der Amokfahrer zu den Vorwürfen. In den Vernehmungen direkt nach der Tat war er allerdings redseliger. In den erstmals öffentlich gezeigten Vernehmungsvideos gibt der Amokfahrer bereitwillig Auskunft über sich und sein Leben. Eine Erklärung für das vom ihm verursachte Verbrechen habe er aber nicht. "Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe", sagte er mehrmals.
Video des Amokfahrers Trierer Amokfahrer weiß nicht, "was ihn da geritten hat"
Am vierten Prozesstag der Neuauflage des Trierer Amokprozesses ist ein Vernehmungs-Video des Amokfahrers gezeigt worden. Darin erklärt er, er könne sich nicht vorstellen, dass er das gemacht habe.
Er wollte an jenem Mittag des 1. Dezember 2020 eigentlich zur Bank und zum Grundbuchamt und eventuell auch noch einen Rechtsanwalt aufsuchen. Kommt der Kripobeamte in der Vernehmung auf die Amokfahrt zu sprechen, kann sich der Angeklagte an nichts erinnern. "Ich bin nicht in die Stadt gefahren, um so einen Scheiß zu machen", sagt der Amokfahrer bei der Befragung.
Als er gegen Ende der rund zweistündigen Vernehmung gefragt wurde, ob er noch etwas sagen wolle, antwortete er: "Es tut mir leid, was heute passiert ist."
Amokfahrer schuldunfähig oder nicht?
Durch die Amokfahrt in Trier am 1. Dezember 2020 kamen sechs Menschen ums Leben. Das sechste Todesopfer - ein pensionierter Polizist - starb mehr als drei Jahre nach der Tat infolge der Verletzungen. Ein weiterer Mann, der bei der Amokfahrt schwer verletzt wurde, starb im Oktober 2021. Ob der Tod in Zusammenhang mit der Tat stand, konnte in diesem Fall aber nicht nachgewiesen werden.
Der Amokfahrer war im August 2022 vom Landgericht Trier in einem ersten Prozess wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Zugleich ordnete das Gericht die Unterbringung des Täters in einer geschlossenen Psychiatrie an und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Nach dem damaligen Gutachten eines Sachverständigen leidet der Amokfahrer an einer paranoiden Schizophrenie mit bizarren Wahnvorstellungen. Er sei vermindert schuldfähig.
BGH: Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht richtig geprüft
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat dieses Urteil im Dezember 2023 teilweise aufgehoben. Tat und Täter stehen demnach fest. Neu verhandelt werden muss in dem neuen Prozess, inwieweit der Amokfahrer während der Tat schuldfähig war.