75 Jahre Grundgesetz

Jean Asselborn: Deutsche Verfassung wichtig für Europa

Stand

Das Grundgesetz sichert in Deutschland seit 75 Jahren die Demokratie. Der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hält die Verfassung aber auch wichtig für Europa.

Heute vor 75 Jahren wurde das Grundgesetz unterzeichnet. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Herrschaft ebnete es den Weg für Deutschland hin zu einer stabilen Demokratie.

Doch nicht nur für die Deutschen war es von immenser Bedeutung, sondern auch für Nachbarländer wie Luxemburg. Welche Bedeutung das deutsche Grundgesetz für die europäische Staatengemeinschaft und das direkte Nachbarland Luxemburg hat, erzählt der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Gespräch mit dem SWR.

Der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ist für klare Worte bekannt. Das Grundgesetz ist für ihn ein Meilenstein in der Entwicklung Deutschlands hin zu einer stabilen Demokratie.
Der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn ist für klare Worte bekannt. Das Grundgesetz ist für ihn ein Meilenstein in der Entwicklung Deutschlands hin zu einer stabilen Demokratie.

SWR Aktuell: Wie wichtig war das Grundgesetz damals für die Demokratisierung Deutschlands?

Jean Asselborn: Es war vor allem wichtig, damit Deutschland wieder auf die Füße kommt. Dass die Zerbrechlichkeit der Regierung, wie man das damals 1933 gesehen hat, also nach der Weimarer Republik, dass das nicht mehr geschieht und das natürlich kein Diktator mehr an die Macht kommen kann, der aus Deutschland eine Diktatur macht. Das ist schon eine ganz, ganz wichtige Aufgabe. Und ich glaube, dass das ganze Grundgesetz vom ersten Satz dominiert ist - dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

SWR Aktuell: Deutschland hatte unter der Nazi-Herrschaft eine unglaubliche Schuld auf sich geladen. Welche Rolle hat das Grundgesetz nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Einbindung Deutschlands in Europa gespielt?

Jean Asselborn: Deutschland hat mit diesem Grundgesetz, was weltweit wirklich als eine der besten Verfassung angesehen wird, eine Basis gesetzt, um Vertrauen zu schaffen, dass Deutschland jetzt ein demokratisches Land ist. Und ich glaube, dass alles, was danach geschehen ist - Deutschland wurde Mitglied der Nato, Deutschland wurde Mitglied der Vereinten Nationen, Deutschland ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union - diese ganze Einbindung Deutschlands und die ganze Kraft, die Deutschland auf die Waage gebracht hat, um Europa voranzutreiben, davon ist die Basis das Grundgesetz.

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SWR Aktuell: Wie unterscheidet sich denn das Grundgesetz in Deutschland aus ihrer Sicht von anderen Verfassungen, beispielsweise von der von Luxemburg?

Jean Asselborn: Unsere Verfassung ist gegenüber der von Deutschland sehr viel älter. Deutschland hatte in gewisser Hinsicht Glück, nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Verfassung schreiben zu können. Man hat diese Verfassung nicht geschrieben, um die Weimarer Republik zu verändern, sondern nach dieser tiefgreifenden Katastrophe und dadurch ist die Verfassung ganz anders gelagert als zum Beispiel die von Frankreich.

Frankreichs Verfassung hat sich ja nach der Französischen Revolution immer fortgesetzt, während Deutschland von Null angefangen hat. Da ist ein klarer Fokus drauf, die Wichtigkeit liegt in dieser modernen Fassung darauf, wie eine Demokratie zu funktionieren hat. Das ist der Föderalismus, der Bundestag, der Bundesrat, vor allem aber auch das konstruktive Misstrauensvotum. Dadurch kann nicht mehr einfach so ein Bundeskanzler abgesetzt werden, wenn kein anderer an dessen Stelle genannt wird. Das ist sehr gut durchdacht und hat Deutschland gut getan.

SWR Aktuell: Welche Bedeutung hat das Grundgesetz aus ihrer Sicht für die deutsch-luxemburgischen Beziehungen?

Jean Asselborn: Die deutsch-luxemburgischen Beziehungen kann man natürlich nicht allein auf das Grundgesetz reduzieren. Die brauchten vor allem unheimlich viel Zeit. 1942 wurden alle Männer, die zwischen 1921 und 1927 geboren worden waren, eingezogen und viele haben ihr Leben verloren, weil sie von den Deutschen in eine Uniform gesteckt wurden. Viele, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen eingezogen worden sind, haben Deutschland nie wieder betreten oder ein deutsches Auto gekauft. Die waren auch nicht glücklich, als Deutschland 1954 Weltmeister wurde.

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Das deutsch-luxemburgische Verhältnis hat sich im Alltag mit der Zeit eingespielt und heute haben wir zwei geteilte Dörfer, da ist der Bäcker auf der einen Seite der Staatsgrenze und der Metzger auf der anderen Seite. Wo wir heute stehen und wie gut unsere Beziehungen heute sind, das hat man dann durch die Eingriffe während der Corona-Pandemie gesehen. Das neue deutsch-luxemburgische Zusammenleben hat nicht auf Knopfdruck mit dem Grundgesetz stattgefunden, das hat Jahrzehnte gedauert, bis es wieder normal war.

SWR Aktuell: Wir erleben seit mehreren Jahren einen Rechtsruck in Europa. Auch in Deutschland erstarken zunehmend rechtspopulistische Parteien. Sehen Sie darin eine Gefahr für das Grundgesetz?

Jean Asselborn: Nein, ich sehe keine Gefahr. Natürlich ist kein Grundgesetz so wasserdicht, dass nie etwas geschehen könnte. Aber ich sehe jetzt aktuell keine potenzielle Gefahr, dass wieder alles über den Haufen geschmissen wird. Natürlich habt ihr die AfD. Das ist eine Vereinigung, die mit der Demokratie spielt und diese nicht so respektiert, wie sie respektiert werden muss. Das ist ein Prozess, der nicht erst heute angefangen hat. Aber die deutsche Justiz, die deutsche Gesetzgebung und das deutsche Grundgesetz sind stark genug, um das auszuhalten.

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