Witold Szczepanik wird von der Clearingstelle Krankenversicherung RLP in Mainz betreut, um wieder vollen Krankenversicherungsschutz zu erhalten.

Clearingstelle hat 1.500 Betroffene beraten

Warum vielen Menschen in RLP Krankenversicherungschutz fehlt

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Dirk Rodenkirch
Dirk Rodenkirch

Es klingt wie ein Albtraum: Keinen Arzt aufsuchen zu können, wenn man krank oder sogar schwer krank ist. Laut Schätzungen ist das für tausende Menschen in Rheinland-Pfalz die bittere Realität.

Wie kommt es, dass Menschen ohne Krankenversicherungsschutz sind?

Es gibt sehr unterschiedliche Gründe. Häufig betroffen sind Obdachlose. So wie Witold Szczepanik. Er hat Diabetes, in Folge der Erkrankung mussten ihm mehrere Zehen amputiert werden. Durch die Krankheit verlor der gelernte Maurermeister seine Arbeit, seine Wohnung und landete auf der Straße.

Ich fühle mich wie eine Person zweiter Wahl.

Weil er somit auch keine Beiträge zur Krankenversicherung mehr zahlen konnte, blieb er längere Zeit ohne angemessene ärztliche Versorgung. "Ich fühle mich wie eine Person zweiter Wahl", berichtet der 54-Jährige aus Polen, der seit fast 30 Jahren in Deutschland lebt.

Auch Steffen Kirsten aus Mainz lebte rund acht Jahre ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Der 68-Jährige gelernte Kfz-Mechaniker verlor seinen Job nach der Wende, als sein Betrieb abgewickelt wurde. Später machte er sich unter anderem als Kurierfahrer selbständig, bis die Aufträge ausblieben. Plötzlich fehlte das Geld, um seine private Krankenversicherung zu bezahlen.

Als er dadurch im so genannten Notfalltarif landet, in dem die Leistungen extrem eingeschränkt werden, vermeidet er es fast acht Jahre lang, zum Arzt zu gehen. "Da hatte ich nie so Bedenken, aber so langsam kommen die. Wie schnell hat man einen Herzinfarkt, mit bald 69", sagt Kirsten im Gespräch mit dem SWR. Bislang hatte er glücklicherweise keine größeren gesundheitlichen Probleme.

Wo finden Betroffene in RLP Hilfe?

Sowohl Steffen Kirsten als auch Witold Szczepanik werden von der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz in Mainz beraten und unterstützt. Szczepanik erfuhr von der Einrichtung durch Zufall. Nele Wilk und ein Kollege helfen dort Menschen, die keinen oder keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz haben, "wieder in das System zu gelangen", sagt Wilk. "Das heißt, wir begleiten sie bei der Antragstellung. Wir beraten sie rechtlich und schauen, dass die Menschen wieder einen vollen Krankenversicherungsschutz haben."

Nele Wilk von der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz in Mainz in einem Beratungsgespräch.
Nele Wilk (links) von der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz in Mainz in einem Beratungsgespräch.

Bei Kirsten hat das geklappt. Mit Hilfe der Clearingstelle hat er einen Basistarif bei einer privaten Krankenversicherung bekommen, der vom Staat bezahlt wird, weil er Grundsicherung erhält. "Da bin ich total froh drüber." Nach vielen Jahren will er sich bald mal wieder vom Arzt untersuchen lassen, "manchmal zwickt und zwackt es ja im Alter", so der 68-Jährige. Auch bei Szczepanik laufen die Anträge, um wieder ins Sozialsystem zurückzukehren.


Welche Menschen sind am häufigsten ohne Krankenversicherung?

Es gibt Personengruppen, die per Gesetz keinen Krankenversicherungsschutz erhalten. Das sind zum Beispiel Menschen, die von außerhalb der EU nach Deutschland zugewandert sind und in keinem arbeitsrechtlichen Verhältnis stehen. Dann gibt es Menschen, die sich hier ohne legale Papiere aufhalten. Die sind auch von unserem medizinischen System ausgeschlossen.

Wie Nele Wilk berichtet, spielt auch Altersarmut eine große Rolle. Wie bei Steffen Kirsten, der keine Beiträge mehr zahlen konnte. Viele Menschen, deren gesetzliche Krankenversicherung dann "ruhend" gestellt wird oder bei privaten Versicherungen der Notfalltarif gültig wird, kennen laut Wilk ihre Rechte gar nicht. Sie gingen oft davon aus, gar nicht mehr versichert zu sein. Andere wiederum seien überfordert, die Anträge auf Bürgergeld zu stellen, wodurch auch der Beitrag für eine Krankenversicherung übernommen werde.

Eine hohe Unsicherheit bestehe aber auch in Kliniken oder Arztpraxen, was sie überhaupt behandeln dürften, wenn Verträge der Patienten ruhen oder diese im Notfalltarif seien. Aus Sicht von Wilk ist das Gesetz "sehr schwammig formuliert". Da stehe, dass man nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen behandelt werden könne.

Wie viele Menschen sind in RLP betroffen?

Offizielle Zahlen dazu, wie viele Menschen im Land keine Krankenversicherung haben, beziehungsweise wie viele Verträge ruhend gestellt sind, konnte auf Anfrage des SWR weder das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium liefern, noch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Runtergerechnet auf das Land Rheinland-Pfalz wären wir dann bei einer Zahl von 20.000 Menschen.

An die Clearingstelle Rheinland-Pfalz haben sich in den vergangenen fünf Jahren ungefähr 1.500 Menschen gewandt, die Hilfe gesucht haben. "Wir gehen aber davon aus, dass die Dunkelziffer noch viel höher ist, weil nicht alle Menschen unsere Stelle kennen", so Wilk. Jeden Tag kämen neue Anfragen hinzu.

"Bundesweite Schätzungen gehen von 1,5 Millionen Menschen aus, die sich in dieser Situation befinden, dass sie entweder gar keinen Versicherungsschutz haben oder nur einen eingeschränkten. Und runtergerechnet auf das Land Rheinland-Pfalz wären wir dann bei einer Zahl von 20.000 Menschen."

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Warum gibt es Kritik an Krankenversicherungen?

Die Mitarbeiter der Clearingstelle beklagen, dass Menschen, die wieder in eine Krankenversicherung wollen, zum Teil nicht ausreichend und nicht rechtskonform beraten werden. "Leider erleben wir gerade im privaten Krankenversicherungssystem, dass die Menschen nicht wohlwollend wieder aufgenommen werden. Obwohl eine Pflicht besteht", erklärt Wilk.

"Manchmal werden sie auch wirklich regelrecht abgewimmelt, indem ihnen bestimmte Antragsunterlagen nicht zugeschickt werden." Wenn Mitarbeiter der Clearingstelle gemeinsam mit Betroffenen anriefen, erhielten sie dann den gewünschten Basistarif. Aber selbst dann dauere es manchmal bis zu einem halben Jahr, bis die Antragsunterlagen rausgeschickt würden.

Wie erfolgreich ist die Clearingstelle in RLP?

Der Clearingstelle Rheinland-Pfalz, die vom Land gefördert, gelingt es nach eigenen Angaben etwa 60 Prozent der Menschen, die sich an sie wenden, wieder in die Krankenversicherung zu integrieren. Neben dem Standort in Mainz hat sie weitere in Koblenz, Ludwigshafen und Kaiserslautern.

Auch so genannte Medinetze und die Malteser Medizin unterstützen in Deutschland Menschen ohne Krankenversicherung.

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