"Die ersten Wochen waren der Horror. Man kam schweißgebadet aus den Stunden heraus. Man hat ja einfach keine Ahnung", berichtet eine 30-jährige Lehramtsstudentin aus Landau, die als Vertretungskraft an einer Realschule plus arbeitet. "Das hat sich natürlich alles gegeben, aber der Einstieg war schon hart", sagt sie weiter. Sie ist angestellt als Personalmanagement im Rahmen Erweiterter Selbstständigkeit von Schulen, kurz als PES-Kraft.
Immer häufiger werden nicht vollständig ausgebildete Lehrkräfte an Schulen eingesetzt. Sie kommen in unterschiedlichen Schulformen zum Einsatz. Besonders deutlich wird in der Anstieg an Grundschulen. Nach Zahlen des Bundesbildungsministeriums aus Rheinland-Pfalz waren es im Schuljahr 2018/2019 hier noch 657 PES-Stellen, im Schuljahr 2022/2023 schon 1.851 besetzte PES-Stellen.
PES-Kräfte lösen die Probleme in den Schulen nicht
Gedacht waren diese Kräfte ursprünglich als Unterstützung oder als Vertretung, wenn Lehrkräfte ausfallen. Doch der Bedarf ist vielerorts in Rheinland-Pfalz so hoch, dass PES-Kräfte immer mehr Aufgaben übernehmen und mitunter als vollständige Lehrkraft eingesetzt werden. Auch der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Lars Lamowski betont, dass diese gerade an Grundschulen "fest im Stundenplan" eingesetzt sind.
PES-Kräfte seien jedoch kein "adäquates Mittel, um den Lehrkräftemangel zu lösen", sagt der VBE-Vorsitzende. Sie würden ihr Bestes geben, aber die Ausbildung sei nicht da. Die Schülerinnen und Schüler würden so nicht "die Qualität an Bildung erfahren, die ihnen eigentlich zusteht", so Lamowski.
Studierende sehen in der Arbeit viele Vorteile
Die Studierenden, mit denen der SWR gesprochen hat, betonen alle, dass ihnen die Arbeit Spaß mache und ihnen vor allem viel Praxiserfahrung bringe. So berichten einige von ihrem sehr theoretisch angelegten Studium, mit nur wenigen Praktika und Möglichkeiten, "authentische Erfahrungen“ zu sammeln. Die Arbeit als PES-Kraft sei dann sozusagen "ein gut bezahltes Praktikum", so einer der Studenten, der an einer Grundschule tätig ist.
Dass auf PES-Kräfte mitunter nicht nur gelegentliche Vertretungstätigkeiten zukommen, davon berichtet dem SWR auch ein Studierender aus Landau. Weil eine andere Lehrkraft ausgefallen war, hat er die Klassenleitung einer Grundschule übernommen.
"Wir brauchen diese Manpower in den Schulen"
Zu seinen Aufgaben gehöre "alles, was die Klasse betrifft". Dies beinhalte zum Beispiel die Vorbereitung und Nachbereitung des Unterrichts, aber auch den Kontakt zu den Eltern. Dafür stelle er das Studium auch mal zurück.
Für ihn sei es aber eine Erfahrung, die man sonst nicht bekomme. Bevor er als Klassenlehrer gearbeitet hat, hatte er schon als Vertretungslehrer gearbeitet und sieht seine jetzige Tätigkeit als "kein großes Hindernis" an. Zu Beginn sei alles sehr überwältigend gewesen, mittlerweile habe er aber die "Balance" gefunden. Dennoch musste er feststellen, dass man an einer Grundschule oftmals nicht primär Fachwissen vermittele, sondern erziehe.
Sein Kollegium nehme er aber als unterstützend und hilfsbereit bei Fragen wahr. Der 24-Jährige sagt aber auch, dass die PES-Kräfte gebraucht werden und ohne ihn beispielsweise noch mehr Stunden ausgeglichen werden müssten.
Mike Theobald, der Sprecher des jungen VBE, betont ebenfalls, dass die PES-Kräfte sehr hilfreich seien. Dabei bezieht er sich auf Grundschulen. Die Studierenden könnten so Praxiserfahrung sammeln, die er sich für diese generell mehr wünsche, und "wir brauchen diese Manpower in den Schulen." Es sei viel wichtiger, dass Unterricht stattfinde, als dass er komplett ausfalle.
PES-Kräfte bringen "frischen Wind" rein
Der Sprecher der Landesschüler*innenvertretung (LSV) Pascal Groothuis sieht viel Positives im Einsatz von PES-Kräften. Oftmals sei es so, dass die noch jungen PES-Kräfte mit viel Enthusiasmus und neuen Unterrichtsmodellen in die Klassen kämen. "Sie bringen frischen Wind rein", sagt der LSV-Sprecher. Trotzdem betont auch er, dass die PES-Kräfte nicht zu viel Verantwortung bekommen, sondern unterstützend eingesetzt werden sollten. Sie dürften nicht die Lösung dafür sein den zunehmenden Unterrichtsausfall aufzufangen.
Das Arbeiten als PES-Kraft mache aus einer pädagogischen Sicht auf jeden Fall Sinn, sagt eine 30-Jährige Studentin aus Landau im Gespräch mit dem SWR. "Ich bin super froh, dass ich es gemacht habe". Sie hätte super viel ausprobieren können für das Referendariat und man gebe sich als PES-Kraft viel Mühe. Nur fachlich habe es ihr wenig gebracht, weil sie "fast nur" fachfremd eingesetzt wurde.
Eine weitere 23-Jährige Studentin aus Landau arbeitet ebenfalls an einer Grundschule und berichtet: "Ich wurde richtig ins kalte Wasser geworfen". Rückmeldung oder Kritik zu ihrer Tätigkeit habe es nie gegeben, weil der Personalmangel so groß gewesen sei. Dennoch würde sie jedem Studierenden empfehlen, als PES-Kraft zu arbeiten. "Man lernt, entspannter zu sein und wie man ein Standing vor einer Klasse bekommt." Dennoch wünsche sie sich mehr Struktur und dass man auf die Arbeit als PES-Kraft besser vorbereitet werde.
Lehrberuf attraktiver machen
Viele Lehrkräfte unterstützen die Studierenden auch, dies dürfe aber nicht zu einer Doppelbelastung für die Lehrkräfte werden, sagt VBE-Vorsitzender Lars Lamowski. Das Land müsse mutiger sein und mehr Lehrerinnen und Lehrer "über den eigenen Durst" einstellen. Zudem müsse gerade das Grundschullehramt attraktiver gemacht werden.
*Die Studierenden, die sich in diesem Artikel geäußert haben, wollten überwiegend anonym im Artikel erscheinen, weshalb keiner der Studierenden mit Namen genannt wird. Zudem wurden nähere Informationen zu den Schulen ebenfalls auf mehrfachen Wunsch nicht veröffentlicht.