"Seit Millionen von Jahren versuchen Impfgegner, den Menschen einzureden, irgendwelche Impfungen würden Frauen sterilisieren", erklärt der Molekularbiologe Martin Moder auf seinem Instagram- sowie YouTube- Kanal Anfang des Jahres leicht überspitzt. Fakt sei aber: "2014 hat die katholische Kirche in Kenia behauptet, die Tetanus-Impfung würde Frauen unfruchtbar machen. 2004 haben islamische Gelehrte das gleiche Gerücht über die Polio-Impfung in Nigeria verbreitet."
In beiden Fällen habe sich das nicht bewahrheitet - die Gerüchte hätten jedoch trotzdem dazu beigetragen, die Menschen zu verunsichern und dazu geführt, dass viele Kinder nicht geimpft worden seien. In Nigeria sei die Zahl der Kinder, die in der Folge erkrankten, dadurch "massiv" gestiegen, so Moder. In seinem Video klärt der österreichische Wissenschaftler (humorvoll) darüber auf, woher das Gerücht rührt - und entkräftet es gleichzeitig.
Funktion des mRNA-Impfstoffs: kein Eingriff ins Erbgut
Die Unfruchtbarkeits-Theorie ist aber nur eine von vielen, die neu im Umlauf sind oder ein Comeback feiern. Besonders groß ist die Angst, der Impfstoff könnte das Erbgut verändern. Doch "mRNA-Impstoff" bedeutet nicht, dass "gentechnisch veränderter Impfstoff" gespritzt wird, der gar die DNA verändern könnte, erklärt Uwe Gradwohl, Leiter der SWR-Wissenschaftsredaktion: "Nein, unser Erbgut wird vom Impfstoff nicht verändert. Der mRNA-Impfstoff funktioniert so: mRNA steht für 'messenger RNA' und dieser Begriff beschreibt genau die Aufgabe, die mRNA-Moleküle in Körperzellen haben. Sie sind die Nachrichtenboten im Zellinnern."
Dort hätten sie die Aufgabe, die Zelle dazu zu bringen, jene Teile des Virus zu produzieren, mit denen das Immunsystem beginnen kann, sich auf die Abwehr des Virus einzustellen. "Wenn dann ein komplettes Virus auftaucht, ist das Immunsystem durch das Training an den zuvor hergestellten Virusteilen schon auf Zack." Die mRNA-Moleküle blieben auch nicht auf Dauer in der Zelle, sondern würden innerhalb weniger Tage wieder abgebaut.
In Impfzentren Informationsmaterial bereitstellen
Trotz der verfügbaren Argumente, verunsichernde Theorien zu entkräften, halten sie sich oft hartnäckig. Die Verbreitung von Desinformationen durch Impfgegner müsse frühzeitig unterbunden werden, meint die Mainzer Sozialpsychologin Pia Lamberty. Derzeit lasse sich zum Beispiel auf dem Messengerdienst Telegram beobachten, dass Gegnerinnen und Gegner der Corona-Impfungen planten, mit Flyern gezielt Fehlinformationen zu verbreiten. Lamberty verwies darauf, dass es in einer Nacht Ende der ersten Januarwoche des Jahres zu Randalen an einem Rostocker Impfzentrum gekommen war.
Kommunen sollten darüber Bescheid wissen, was in ihrem Umfeld passiert, bekräftigt Lamberty im Gespräch mit dem SWR: "Gibt es gerade Aufrufe gegen unser Impfzentrum, wird dagegen mobilisiert?" Als hilfreich erachtet sie es, Materialien und Handreichungen in den Impfzentren bereitzuhalten oder Schulungen für die eigenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anzubieten. Es sei wichtig, diese zu schützen und ihnen Instrumente mit auf den Weg zu geben, mit möglichen Konflikten in den Zentren umzugehen. Sie sollten einschätzen können, ab welchem Zeitpunkt eine Diskussion nicht mehr sinnvoll ist.
Konflikte im eigenen Umfeld
Wie aber konstruktiv mit Konflikten im Zusammenhang mit der Impfung im eigenen Umfeld umgehen? "Jemand, der verunsichert ist, mit dem kann man faktisch diskutieren, dessen Sorgen sollte man auch erst mal ernst nehmen", rät die Forscherin. "Da gibt es eine neue Impfung, die deutlich schneller entwickelt werden konnte als vorherige, auch weil organisatorische Hürden abgebaut wurden. Dass eine gewisse Unsicherheit besteht, das geht sicher vielen so. Und es ist auch seitens der Politik wichtig, hier Transparenz zu zeigen.“
Während es möglich sei, noch nicht ausreichend informierten oder skeptischen Menschen zuzuhören und ihren Sorgen mit fundierten Argumenten zu begegnen, sei die Ausgangslage bei Verschwörungsideologen etwas anders. "Da geht es in der Regel auch nicht mehr um Argumente. Das geht dann so weit, dass Leute wirklich glauben, Viren existierten nicht - und dann ist es natürlich schwer, zu argumentieren."
Lamberty empfiehlt, darauf zu achten, inwiefern Personen, die fragwürdige Theorien verbreiten, Einfluss auf andere Menschen wie etwa Familienmitglieder ausüben. Und sich zu fragen: "Was sind die Funktionen hinter dieser Haltung? Gab es eine Erkrankung, Lebenskrisen oder Ängste, die übertragen werden?" Hilfreich sei es auch, sich mit den Strategien, die in der verschwörungsideologischen Szene zum Einsatz kommen, auseinanderzusetzen und sie aufzuzeigen. "Dann hat man die Möglichkeit zu sagen: Guck mal, hier werden nur Ängste geschürt, manipuliert und es gibt keine Belege." So könne besser klargemacht werden, dass es um ein grundsätzliches Problem geht - und nicht um den Gesprächspartner auf einer rein persönlichen Ebene.
Impfbereitschaft im Januar wieder gestiegen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Erfurt fanden heraus, dass die Impfbereitschaft in der deutschen Bevölkerung zwischen April und Dezember kontinuierlich gefallen war. Sie führten im Dezember im Rahmen des COVID-19 Snapshot Monitoring eine Umfrage durch, bei der nicht einmal die Hälfte der Befragten (48 Prozent) angegeben hatte, sich "(eher) gegen COVID-19 impfen" lassen zu wollen. Zu Beginn des Jahres ist die Impfbereitschaft nun wieder deutlich auf 57 Prozent gestiegen.
Misstrauen hat lange Tradition
Die Impfung gegen das Coronavirus ist keineswegs die erste, der viele Menschen misstrauen. So standen in den späten 50er und frühen 60er Jahren viele Westdeutsche einem in der UdSSR entwickelten und 1960 in der DDR zugelassenen Impfstoff gegen Kinderlähmung skeptisch gegenüber. Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) lehnte ein Angebot aus der DDR über drei Millionen Einheiten des Impfstoffs in der heißen Phase des Kalten Kriegs gar ab. Erst zwei Jahre später wurde er auch in der BRD eingesetzt - und es kam zu einer raschen Abnahme der Erkrankungs- und Todesfälle.
Die sehr gute Wirksamkeit der meisten eingesetzten Impfstoffe habe allerdings dazu geführt, dass viele Infektionserkrankungen nur noch selten auftreten und ihre Bedrohlichkeit aus dem Bewusstsein der Menschen gerate, heißt es in einer Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) aus dem Jahr 2019. Auch dort ist man mit dem Umstand vertraut, dass Impfen teilweise sehr kritisch gesehen wird. Gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) hat das PEI deshalb eine Liste von Antworten erarbeitet, in denen auf die wichtigsten Bedenken von Menschen, die einer Impfung oder dem Impfen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, eingegangen wird.