Nachdem die EMA (Europäische Arzneimittelbehörde) am Montag ihr positives Gutachten zum Biontech-Impfstoff veröffentlicht hat, hat auch die EU-Kommission grünes Licht gegeben. Doch zur Impfung gehört nicht nur der entsprechende Impfstoff, sondern auch seine Verteilung, medizinisches Fachpersonal, das ihn verabreicht - und Zeit.
Die Erwartungshaltung an den Impfstoff ist gleichzeitig hoch. Ein Begriff, der immer wieder fällt und mit der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zum regen gesellschaftlichen Leben verbunden ist, ist der der Herdenimmunität.
Im Falle von SARS-CoV-2 geht die Bundesregierung aktuell davon aus, dass rund 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung immun sein müssten, um in der Theorie eine solche Herdenimmunität zu erreichen. Das entspräche in Rheinland-Pfalz 2,4 bis 2,8 Millionen Menschen, die geimpft werden müssten. Im Bundesland gibt es 31 Impfzentren mit insgesamt 36 Impfstraßen. Auf jeder dieser Impfstraßen sollen täglich 200 Menschen geimpft werden. "Das wären insgesamt 7.200 Menschen pro Tag in Rheinland-Pfalz", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministerium dem SWR.
Herdenimmunität - kein einfacher Dreisatz
Eine simple Rechnung also, an deren Ende ein Datum steht - und dann ist es geschafft? Nicht ganz, erklärt der Leiter des Mainzer Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik, Konstantin Strauch. "Es ist noch gar nicht klar, inwieweit die Impfung nicht nur den allergrößten Teil der Krankheitsfälle mit Covid-19 verhindert, sondern auch die Infektiosität." Durchaus denkbar, dass ein geimpfter Mensch eine gewisse Viruslast trägt - die würde dann bei ihm selbst zwar nicht zu Symptomen führen, aber eben dazu, dass er nicht geimpfte Menschen anstecken kann.
Zwei Extremfälle gibt es in diesem Szenario, führt Strauch aus: Die Impfung verhindert die Infektion gänzlich - oder eben nur die Krankheit mit symptomatischem Verlauf selbst. "Dann schütze ich mit einer Impfung nur mich selber und die ganze Dynamik der Epidemie würde genauso weitergehen." Wahrscheinlich liege die Wahrheit irgendwo zwischen diesen Extremen.
Zeitliche Prognose noch Wunschdenken
Auch der Mainzer Virologe Bodo Plachter weist auf die komplexe Ausgangslage hin: "Die Erfahrungen aus schon erprobten Impfungen zeigen eben, dass in den allermeisten Fällen die Immunität im Lauf der Zeit nachlässt." Wie das bei der neuen Corona-Impfung aussieht? Darauf gäbe es bisher nur Hinweise. So nähmen die Antikörper nach einer initialen Infektion relativ schnell ab: "Das könnte darauf hindeuten, dass wir keine lebenslange Immunität mit dieser Impfung erzeugen werden."
Theoretisch sei das Konzept der Herdenimmunität erreichbar, praktisch aber unter Umständen nicht wirklich umzusetzen, gibt Plachter zu Bedenken. "Wir haben es hier mit einem System mit zahlreichen Variablen zu tun, das man nicht wirklich in eine starre Form pressen kann, um dann zu sagen: In 3,5 Monaten ist die Pandemie zu Ende."
Impfungen können nicht einzige Strategie sein
Mittelfristig werde die Bevölkerung zwar eine Grundimmunität gegen den Erreger erreichen. Dennoch, betont der Virologe Plachter: "Wir müssen Konzepte entwickeln, die sich nicht nur auf eine Impfung, sondern auch auf Therapien beziehen, um mit diesem Erreger tatsächlich über längere Zeit zu leben."
Mit der Impfung die Pandemie schon kontrollieren zu können, sei eine Illusion: "Wir sind gerade erstmal dabei, einen Eigenschutz bei den Menschen aufzubauen, die schwere Verläufe erleben." Ein sekundärer Effekt der Impfungen sei dabei die notwendige Entlastung des Gesundheitswesens.
Auch in Übergangsphase ist Vorsicht geboten
"Man kann zwar viel mit Zahlen und statistischen Modellen rechnen", so Strauch über die Möglichkeit einer zeitlichen Prognose abschließend. Noch ausstehende wissenschaftliche Erkenntnisse über den Impfstoff und seine langfristige Wirkung auf das Infektionsgeschehen gestalteten sie schwierig. Und auch die logistischen Herausforderungen einer Impfung im großen Stil seien dabei nicht zu unterschätzen. Doch unsicher sei besonders ein Faktor, nämlich der des menschlichen Verhaltens. "Es kann in einer solchen Übergangsphase gefährlich werden, zu nachlässig zu werden."