Bis Dieter Linck (FWG) 18 Jahre alt war, lebte er in einem gespaltenen Dorf. In Ober-Hilbersheim standen sich zwei politische Lager gegenüber. Die stritten sich im Gemeinderat, feindeten sich öffentlich an, konkurrierten um Vorsitze in Vereinen.
Lagerdenken spaltete die Dorfgemeinschaft in Ober-Hilbersheim
"Auch meine eigene Familie war gespalten", erzählt Linck. Jahrelang habe er gedacht, dass seine Familie mit der anderen Familie Linck im Ort gar nicht verwandt sei, weil mit denen immer nur Streit gewesen sei. Später fand er heraus: Die anderen Lincks gehörten sehr wohl zur Familie. Eine frustrierende Erkenntnis, sagt der heute 73-Jährige.
Der damalige Bürgermeister wollte an der Situation etwas ändern. Im Jahr 1969 setzte er sich gegen Verfechter des alten Systems durch – und etablierte eine Einheitsliste. Die beiden zerstrittenen Lager einigten sich auf eine gemeinsame Liste für die Kommunalwahl, auf der alle antraten, die in den Gemeinderat einziehen wollten.
Kommunalwahl: Mehr als 300 Gemeinden in RLP hatten 2019 Einheitsliste
Bis heute hat Ober-Hilbersheim das System beibehalten und war damit bei der Kommunalwahl 2019 eine von mehr als 300 Gemeinden in Rheinland-Pfalz, in denen nur eine einzige Liste auf dem Wahlzettel stand.
Trend in kleineren Gemeinden Warum Einheitslisten die Suche nach Kandidaten für Kommunalwahl erleichtern
Die Suche nach Kandidaten für die Kommunalwahlen 2024 läuft auf Hochtouren - und wird immer schwieriger. Eine Lösung für kleine Gemeinden wie Todtmoos: Einheitslisten.
In Ober-Hilbersheim funktioniert das System so: Vor der Wahl werden alle interessierten Wahlberechtigten zu einer Versammlung eingeladen. Dort wird die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste festgelegt, mittlerweile entscheidet darüber das Los. Am Wahltag können die Bürgerinnen und Bürger dann zwar nicht zwischen verschiedenen Listen wählen, aber immer noch für einzelne Personen stimmen.
Für Dieter Linck war die Einführung der Einheitsliste vor 55 Jahren ein sehr guter Schritt. Es habe zwar eine Weile gedauert, aber nach und nach habe die Dorfgemeinschaft das Lagerdenken überwunden. Als Linck 1988 selbst Ortsbürgermeister wurde, rief Ober-Hilbersheim den inzwischen überregional bekannten Märchenweihnachtsmarkt ins Leben. "Das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Vereine nicht so einheitlich zusammengewirkt hätten", sagt Linck.
Politische Konkurrenz kann auch nützlich sein
Auch Dirk Günthner, der in diesem Jahr zum zweiten Mal in den Ober-Hilbersheimer Gemeinderat gewählt werden will, sieht viele Vorteile in der Einheitsliste. Zwar ist er Ortsvorsitzender der SPD, eine Parteiliste im Ort hält aber auch er nicht für sinnvoll. Viele kommunalpolitische Themen seien schlicht nicht über ein Parteiprogramm abbildbar, sagt Günthner.
Was Günthner allerdings auch sagt: Politische Opposition hat schon ihren Nutzen. Zwei Fraktionen im Gemeinderat bedeuteten mehr gegenseitige Kontrolle und mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger. Sie hätten einen besseren Einblick, wer für welche Position steht. In Ober-Hilbersheim – mit gut 1.000 Einwohnern – funktioniere das System aber gut, sagt Günthner.
So geht Kumulieren und Panaschieren
Nachbarort Nieder-Hilbersheim setzt nun auch auf Einheitsliste
Knapp zwei Kilometer entfernt, im Nachbarort Nieder-Hilbersheim, hat man sich in diesem Jahr nun auch auf eine Einheitsliste geeinigt. Das Ziel von Listenführer Bernd Lenhart (parteilos), der auch als Ortsbürgermeister kandidiert: Konflikte zwischen den beiden bisherigen Lagern überwinden und das Dorf gemeinsam weiterentwickeln. Denn durch Streitereien sei in den vergangenen Jahren politisch viel liegengeblieben, sagt Lenhart.
Sicher ist er sich nicht, dass der Plan aufgeht, aber er hat Hoffnung. Wenn kein Fraktionszwang bestehe, entscheide jeder nur nach seinem Gewissen und sehe vor allem das Ziel, wie es weitergeht mit der Gemeinde. Und sollte mal ein guter Rat nötig sein: 55 Jahre Einheitslisten-Erfahrung liegen ja gerade mal zwei Autominuten entfernt.
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