Atefeh, Mahmod und Nazanin sind 2016 nach Deutschland gekommen. Sie sind alle aus ihrem jeweiligen Heimatland geflohen. Sie leben und arbeiten in Bad Bergzabern. Es hat Gründe, dass wir hier nur ihre Vornamen kennenlernen und nicht erfahren, wie sie aussehen. Mehr dazu später.
Wir wollten von ihnen wissen, wie sie die Stimmung in diesem Land momentan erleben. Unser Anlass war die Europawahl. Die Messerattacke in Mannheim haben sie selbst angesprochen.
Atefeh, 39 Jahre alt, Verkäuferin in Bad Bergzabern
Atefeh ist mit ihrem Mann aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Weil sie selbstbestimmt als Frau leben wollte. Ohne Kopftuch und ohne Begleitung eines Mannes auf die Straße – das war den größten Teil ihres Lebens undenkbar.
Heute sitzt sie an einem Tisch im Haus der Familie in Bad Bergzabern. Sie trägt ein helles Top und eine Sommerhose, die Haare zu einem lockeren Zopf gebunden. Um die Hüfte hat sie eine Bauchtasche mit der Aufschrift "Women are great" geschnürt.
Mehr Angst vor Islamismus
Der radikale Islam, wie sie ihn im Iran kennengelernt hat, verfolgt sie bis nach Bad Bergzabern. Schon im Deutschkurs habe es Menschen aus anderen Ländern gegeben – "Ich sage nicht, welche" – die von ihr wollten, dass sie sich religiösen Zwängen unterwerfen solle, die sie selbst für absurd hält: "Warum ich kein Kopftuch trage, haben sie gefragt. Aber das ist doch privat!
Ich habe meine Meinung, sie haben ihre." Diese Menschen machen ihr nach wie vor Angst. Deswegen möchte sie in diesem Artikel auch nicht mit vollem Namen und Foto auftauchen.
Anfeindungen von Deutschen hat sie nie erlebt, obwohl ihr bewusst ist, dass es eine "Ausländer raus!"-Fraktion gibt. Aber sie hat die Europawahl verfolgt, und sie weiß, dass es Parteien gibt, deren Liebe zur Demokratie man in Frage stellen kann. Ihre Haltung dazu ist einfach: "Ich möchte gerne wählen. In meinem Heimatland gab es das nicht."
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Mahmod, 31, Verkäufer in Bad Bergzabern
Mahmod kommt aus Syrien. Er ist vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Wie Atefeh hat auch er im "Haus der Familie" in Bad Bergzabern Deutsch gelernt. Heute arbeitet er als Verkäufer in einem Supermarkt. Wenn er spricht, schleicht sich hier und da Pfälzisch ein: Aus "nicht" wird "net", und ein Satz kann auch mal mit "Hach joh" beginnen.
Angst, nicht mehr akzeptiert zu werden
Sein Leben in Deutschland unterteilt er in zwei Zeiträume: die Jahre vor dem letzten Wahlsonntag, und die Wochen danach. "Ich bin so enttäuscht", sagt er. Irgendwann in den vergangenen Wochen hat sich bei ihm eine ganz konkrete Angst eingeschlichen: Dass es nie genug sein könnte.
"Ich liebe meine Arbeit, ich fühle mich hier wohl. Ich habe ein Drittel meines Lebens hier verbracht. Ich bin einer von Euch." So hat er vor der Wahl gedacht. Nun hat er Angst, dass "ich immer ein Ausländer bleiben werde, egal, wie lange ich hier bin."
Er hat das Gefühl, dass er auf der Straße anders angeschaut wird. "Vielleicht ist das nur in meinem Kopf, aber nach der schrecklichen Tat in Mannheim, denke ich manchmal, die Leute sehen nur noch: schwarze Haare, schwarzer Bart – alle gleich."
Shitstorm auf Instagram
Ein Foto von ihm hat auf Instagram so viele feindselige Kommentare nach sich gezogen, dass er hier nun nicht mit Bild erscheinen möchte.
Die letzten Jahre hat Mahmod in Schritten und Zielen gedacht: Nach Deutschland kommen, Sprache lernen, Job finden. Wo sieht er sich in fünf Jahren? Die Frage überrascht ihn. Er sei doch angekommen, sagt er. Und dass er eigentlich hier sehr glücklich sei.
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Nazanin, 18, Schülerin aus Bad Bergzabern
Nazanin und ihre Familie sind Afghanen, die aus dem Iran nach Deutschland geflohen sind. 2016 war das. In den acht Jahren, die seitdem vergangen sind, hat sie Deutsch, Englisch und Französisch gelernt. "Latein habe ich irgendwann abgewählt", sagt sie. Nazanin spielt Geige und hat die Hauptrolle in einem Schul-Musical gesungen. Momentan bereitet sie sich auf das Abitur vor.
"Ich habe immer versucht, das Beste aus mir rauszuholen", ist ein Satz, der so oft fällt, dass er als ihr Motto durchgehen könnte.
Die Messerattacke von Mannheim hat alles verschlimmert
Ähnlich wie Mahmod hat auch sie das Gefühl, dass die Messerattacke in Mannheim etwas verändert hat. Nazanin ist Muslimin, trägt aber kein Kopftuch; ihre Mutter schon. "Die wurde immer schon komisch angeschaut, aber nach Mannheim war es noch schlimmer."
Und dann kam die Europawahl: "Ich war schockiert, was die Jugendlichen gewählt haben. Die dürfen ja auch die nächste Bundestagswahl wählen. Ich mache mir Sorgen!"
Sie glaubt, da brauche es Aufklärung – gerade bei den jungen Menschen. "Man sollte sich diese Wahlprogramme durchlesen, und wirklich gucken, was man da wählt!"
Sie selbst hat sich etwas vorgenommen, sagt sie: "Ich will ein Vorbild sein. Viele, die hier ankommen, wissen nicht, was man hier erreichen kann. Das will ich ihnen zeigen. Und ich will es auch denen zeigen, die nicht an uns glauben."