Wie motiviert man Schüler, die nicht mitarbeiten wollen? Was tun, wenn die Eltern sie krank zur Schule bringen? Wie gewinnt man das Vertrauen der Kinder? Und wie geht man mit Sprachbarrieren um? Darüber tauscht sich eine Gruppe Studierender der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) mit ihrer Betreuerin Anja Wildemann aus. Die ersten Wochen als pädagogische Förderkräfte an der Gräfenau-Grundschule in Ludwigshafen liegen hinter ihnen.
Großes Problem: Fehlende Deutschkenntnisse
Die Grundschule im Ludwigshafener Stadtteil Hemshof ist seit dem Frühjahr bundesweit in den Schlagzeilen. Denn von 140 Schülern müssen 39 die erste Klasse wiederholen. Der Grund bei vielen: fehlende Deutschkenntnisse. Viele haben noch kein grundlegendes Zahlenverständnis und große Schwierigkeiten, länger stillzusitzen. Auch, weil viele nie einen Kindergarten besucht haben. Eine Herkulesaufgabe für Lehrkräfte und Schulleitung.
Respekt vor der Aufgabe
"Natürlich hat man irgendwo Respekt vor der Aufgabe", erzählt Studentin Pauline Korb, "weil viele Kinder Migrationshintergrund haben, ist die Sprachbarriere natürlich ein großes Thema. Aber ich finde es umso schöner, an der Schule zu arbeiten und für die Kinder da zu sein."
Unterstützung durch individuelle Förderung
Insgesamt 16 Lehramtsstudierende der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) am Standort Landau haben sich dazu entschlossen, die Lehrkräfte an der Gräfenauschule während der ersten sechs Wochen des Schuljahres in den ersten Klassen zu unterstützen. Ein bis zwei Studierende sind für jede Klasse vorgesehen. Ihre Aufgaben: die Schüler in den Bereichen Sprache, Mathematik und Feinmotorik individuell fördern.
Förderbedarf in den ersten Schulwochen sehr groß
"Wir gehen mit den Kindern auch mal raus, wenn wir merken, dass sie intensivere Erklärungen brauchen", erzählt Studentin Lorena Gorani. Dabei können sie mit Deutsch oder Mathematik helfen oder auch nochmals in Ruhe zeigen, wie man einen Stift oder eine Schere hält. Gerade in den ersten Schulwochen sei der Förderbedarf groß. Die Schüler müssten sich erst an den Schulalltag gewöhnen.
"First Class" Projekt an der RPTU in Landau
Im Mai waren Vertreter der Stadt Ludwigshafen und der Schulaufsicht mit dem rheinland-pfälzischen Bildungsministerium zusammengekommen, um über Lösungsansätze für die Gräfenauschule zu beraten. Im Anschluss wandte sich das Bildungsministerium mit der Idee zum "First Class"-Projekt an die Landauer Professorin Anja Wildemann.
Wertvolle praktische Erfahrungen für Studierende
Gemeinsam mit ihrem Team hat Wildemann die Studierenden in einem dreitägigen Seminar auf die besonderen Herausforderungen an der Grundschule vorbereitet. Und auch währen der sechs Wochen begleitet sie die Studierenden. Für sie ist das Projekt eine "Win-Win-Situation": Die Erstklässler würden individuell gefördert, die Lehrkräfte entlastet und die Landauer Studierenden machen wertvolle praktische Erfahrungen, die sie sich als Orientierendes Praktikum für ihr Studium anerkennen lassen können.
40 Erstklässler müssen wiederholen Mehr Förderangebote für Gräfenau-Grundschule
Die Gräfenauschule in Ludwigshafen ist seit Wochen in den Schlagzeilen, weil 40 Erstklässler das Schuljahr wohl wiederholen müssen. Jetzt will das Land für zusätzliche Förderangebote sorgen.
"99 Prozent der Schüler haben Lust zu lernen"
Die Studierenden sind sich einig: Das Praktikum an der Gräfenauschule ist eine sinnvolle Erfahrung. Trotz der Herausforderungen. "99 Prozent hat Lust, in die Schule zu gehen und zu lernen", sagt Sonja Stube. Es sei toll zu sehen, wie schüchterne, eingeschränkte Kinder aus sich herauskommen, meint ihre Kommilitonin Elena Ganetsiou. Vom Label "Brennpunktschule" halten die Studierenden nichts.
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Es braucht Konzepte über kurze Hilfe hinaus
Sechs Wochen lang leisten die Studierende wertvolle Unterstützung an der Gräfenauschule. Aber wie geht es danach weiter? Für die Lehrkräfte sei es unmöglich, die Herausforderungen alleine zu stemmen, sagen die Studierenden. "Nach den Herbstferien wird es sicher wieder extrem wuselig", ist sich Wiktoria Rimer sicher. "Was wir machen ist ein kleines Pflaster seitens der Universität. Nichtsdestotrotz braucht es natürlich Konzepte, die über solche sechs Wochen hinausgehen", sagt Professorin Wildemann, "etwa multiprofessionelle Teams, in denen auch zum Beispiel Sozialarbeiter dabei sind."
"Es braucht mehr Integration"
Die Gräfenauschule steht mit ihren Problemen nicht alleine da. Auch andere Schulen in der Region stünden vor ähnlichen Herausforderungen, erklärt sie. Lorena Gorani wünscht sich einen "Umschwung im Bildungssystem" und "mehr Unterstützung für die Lehrkräfte". Förderung, insbesondere der Sprachkenntnisse, auch schon vor und neben der Schule sei wichtig. Und: "Es braucht mehr Integration", meint Pauline Korb, "es würde Vieles leichter machen, wenn es auch Lehrkräfte gäbe, die selbst Migrationshintergrund haben, um ein besseres Verständnis dafür zu haben, wie sich die Schüler fühlen."