Die Fotomontage zeigt ein Warndreieck mit der Aufschrift "Notarzt" vor einer verschwommenen Rettungseinsatz: Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand dauert es im Bereich des Rettungsdienstbereichs Montabaur oft länger als vorgeschrieben, bis Hilfe kommt.

SWR-Datenrecherche #Notfall Rettung

Herzstillstand: Hilfe dauert im Westerwald und an der Lahn oft zu lange

Stand

In acht Minuten soll ein Rettungswagen da sein, wenn ein Mensch wiederbelebt werden muss. Im Rettungsdienstbereich Montabaur klappt das nach einer SWR-Daten-Recherche oft nicht.

Es ist eine Situation, in der jede Minute zählt: Innerhalb der ersten zehn Minuten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand muss ein Mensch wiederbelebt werden, sonst sinken seine Überlebenschancen gegen null. Damit eine Reanimation erfolgreich ist, müssen viele Faktoren ineinander greifen und es gäbe zusätzliche Maßnahmen, um die Rettungskette besser zu organisieren.

Herz-Kreislauf-Stillstand: Rettungsdienste sollen in acht Minuten da sein

Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand sollte der Rettungswagen am besten innerhalb von acht Minuten vor Ort sein. Dazu raten Expertinnen und Experten. In den Kreisen Altenkirchen, Westerwald und Neuwied und im Rhein-Lahn-Kreis, die zum Rettungsdienstbereichs Montabaur gehören, war das laut der SWR-Datenrecherche im Jahr 2022 aber nur in 28 Prozent der Einsätze der Fall. Der Zielwert von 80 Prozent der Fälle, den die Expertinnen und Experten empfehlen, wird damit deutlich verfehlt.

Viele Rettungsdienstbereiche in Deutschland erreichen Zielvorgaben nicht

Damit ist der Rettungdienstbereich Montabaur aber nicht alleine. Das Problem besteht laut den SWR-Recherchen in ganz Deutschland. Bundesweit schaffen es demnach nur 24 Rettungsdienstbereiche, dass in 80 Prozent der Einsätze der erste Rettungswagen in unter acht Minuten am Einsatzort eintrifft, wenn ein Mensch wiederbelebt werden muss. Mehr als 130 Rettungsdienstbereiche erreichen diesen Zielwert nicht. In den übrigen Bereichen liegen keine Angaben vor.

Die Daten-Recherche des SWR ergab auch: Im Rettungsdienstbereich Montabaur - also in den Kreisen Altenkirchen, Westerwald, Neuwied und Rhein-Lahn - wurden in den Jahren 2020 bis 2022 etwas weniger reanimierte Menschen lebend ins Krankenhaus gebracht als statistisch zu erwarten wären. Das geht aus einer Hochrechnung der Barmer Ersatzkasse hervor, die die Krankenkasse dem SWR zur Verfügung gestellt hat.

Laut der gesetzlichen Vorgaben schreibt das Land Rheinland-Pfalz bei Notfällen vor, dass der Rettungsdienst in 15 Minuten da sein muss - etwa bei starken Blutungen, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Sobald der Einsatzwagen mit Blaulicht losfährt, sollen also höchstens 15 Minuten vergehen, bis die Helfer vor Ort sind. Diese Regel gilt, wenn der Einsatzort an einer öffentlichen Straße liegt. Sie gilt aber nicht, wenn die Rettungskräfte etwa in ein Waldstück fahren, um jemanden zu versorgen.

Notfall-Rettung: Ein Herz-Kreislauf-Stillstand kann jeden treffen

Bei einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand müssten sie laut dem Experten-Rat aber auch im Rettungsdienstbereich Montabaur eigentlich viel schneller da sein. Denn laut dem Bundesgesundheitsministerium stellt der Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses "die dritthäufigste Todesursache in Deutschland dar."

Laut dem bundesweiten Reanimationsregister überleben von mindestens 55.000 Reanimierten jährlich nur etwa 7.400. Das sind nur etwa 13 Prozent der Betroffen. Es könnten aber 2.600 mehr sein. Das hat eine Hochrechnung des SWR auf der Grundlage der ausgewerteten Daten ergeben. Ein Herz-Kreislauf-Stillstand kann jeden treffen: Im Rettungsdienstbereich Montabaur waren 2022 33 Prozent der Menschen, die wiederbelebt werden mussten, jünger als 65 Jahre.

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Gründe: Weite Wege im Westerwald und an der Lahn

Es gibt viele Gründe, warum es länger als vorgeschrieben dauern kann, bis in solchen Fällen ein Rettungsdienst vor Ort ist: Im Rettungsdienstbereich Montabaur müssen die Einsatzkräfte oft weite Wege zurücklegen. Dazu kommt, dass immer mehr Notarztstandorte und Krankenhäuser im Norden von Rheinland-Pfalz geschlossen wurden.

Um den Menschen im Notfall schnell helfen zu könne, braucht es zudem in den Rettungsleitstellen vorgeschriebene Abläufe. Experten empfehlen einen standardisierten Fragenkatalog, den die Mitarbeiter in der Leitstelle bei einem Notruf routinemäßig abfragen. Das passiert auch im Rettungsdienstbezirk Montabaur: Dort wird die standardisierte Notrufabfrage eingesetzt. Dabei werden die Fragen nach einem bestimmten Schema gestellt.

Westerwaldkreis: Acht Minuten sind nicht möglich

Der Westerwaldkreis als für den Rettungsdienstbereich Montabaur zuständige Behörde hat auf die Datenrecherche des SWR reagiert. In einem Antwortschreiben heißt es: "Die Vorgabe, dass die Zeit vom Notrufeingang bis zum Eintreffen der ersten professionellen Helfer in 80% der Fälle in 8 Minuten nicht überschreiten solle, beinhaltet sowohl die Ausrückezeit als auch die Anfahrtszeit. Dies zu erreichen ist in einem Flächenland wie RLP nicht möglich."

Außerdem berücksichtige die Analyse nicht, dass während dieser Zeit auch der Disponent in der Leitstelle in Montabaur den Anrufenden am Telefon erklären kann, was Laien tun müssen, um einen Menschen wieder zu beleben. Zudem gebe es im Rettungsbereich Montabaur in vielen Orten schon sogenannte First Responder. Das sind Ehrenamtliche, die im Notfall zusätzlich zu den offiziellen Einsatzkräften alarmiert werden - und die oft schneller vor Ort sein können als der Rettungswagen.

Experten raten zu Handy-App für ehrenamtliche Helfer

Besonders wirkungsvoll sind nach Ansicht von Experten Apps auf dem Handy, die die First Responder bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand auf der Grundlage ihres Standortes benachrichtigen und sie auch zum Einsatzort leiten können. Im Rettungsdienstbereich Montabaur gibt es bislang noch keine flächendeckende First Responder-App. Sie soll den Angaben zufolge aber bald starten. Bundesweit nutzen mehr als die Hälfte der Rettungsdienstbereiche kein App-basiertes First-Responder-System.

Positives Beispiel: Der Verein RescueGroup aus Bad Marienberg

Wie das funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus der Verbandsgemeinde Bad Marienberg im Westerwald. Dort ist seit einigen Jahren ein privater Hilfsverein mit dem Namen RescueGroup e. V. im Einsatz. Alle Mitglieder haben medizinische Kenntnisse, weil sie hauptberuflich in entsprechenden Berufen arbeiten. Über eine App auf dem Handy werden sie parallel zu den offiziellen Einsatzkräften alarmiert, wenn ein Rettungswagen mit Blaulicht ausrückt.

Mehrere Mitglieder des Vereins RescueGroup e. V. vor ihrem Einsatzwagen: Sie werden in der Verbandsgemeinde Bad Marienberg mitalarmiert, wenn ein Rettungswagen mit Blaulicht ausrückt. Dann fahren sie als freiwillige Ersthelfer selbst vor Ort und sind oft schneller als der Notarzt da, um zu helfen.
Die Mitglieder des Vereins RescueGroup e. V. werden in der Verbandsgemeinde Bad Marienberg mitalarmiert, wenn ein Rettungswagen mit Blaulicht ausrückt. Dann sind sie als freiwillige Ersthelfer oft schneller als der Notarzt vor Ort, um schon zu helfen. Das hilft, Leben zu retten.

Sie können dann anhand ihrer Ortskenntnisse entscheiden, ob sie selbst auch noch zusätzlich zum Einsatzort fahren oder nicht, sagt Christopher Baumann von der RescueGroup e.V. in der Verbandsgemeinde Bad Marienberg. Allein im Jahr 2023 hätten die Vereinsmitglieder so rund 38 Prozent aller Rettungseinsätze begleitet und unterstützt. Dazu gehörten auch Einsätze, bei denen Menschen wiederbelebt werden mussten. Seine Arbeit finanziert der Verein ausschließlich aus Spenden, betont Christopher Baumann, der zweite Vorsitzende.

Auch im Rettungsdienstbereich Koblenz dauert Hilfe im Notfall oft lange

Der Kreis Mayen-Koblenz als zuständige Behörde hat den Fragenkatalog des SWR zum Rettungsdienstbereich Koblenz zwar beantwortet, aber auf Nachfrage keine Stellungnahme zu den festgestellten Defiziten abgegeben.

Auf der Grundlage der ausgewerteten Daten zeigt sich aber, dass auch im Rettungsdienstbereich Koblenz im Jahr 2022 nur in 28 Prozent der Reanimationseinsätze der Rettungswagen in unter acht Minuten vor Ort war. In Koblenz wurden aber in den Jahren 2020 bis 2022 ungefähr so viele reanimierte Patientinnen und Patienten lebend ins Krankenhaus eingeliefert wie statistisch zu erwarten wären. Grundlage dafür waren Hochrechnungen der Krankenkasse Barmer.

Im Rettungsdienstbereich Koblenz soll es möglichst noch in diesem Jahr eine Frist-Responder-App geben. Das hat der zuständige Mitarbeiter im Kreis Mayen-Koblenz dem SWR gesagt. Auch die Ersthelfer in der Stadt Koblenz und in den Kreisen Mayen-Koblenz, Ahrweiler, Cochem-Zell und im Rhein-Hunsrück-Kreis sollen dann über eine einheitliche Handy-App zu einem Notfall gerufen werden können. Aktuell müssten sich die beteiligten Landkreise aber noch auf eine konkrete Ersthelfer-App einigen.

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