Regisseur aus dem Hunsrück

Berlinale-Ehrung und neuer Film: Edgar Reitz hat noch viel vor

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Autor/in
David Kirchgeßner
David Kirchgeßner ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz.

Edgar Reitz hat mit der "Heimat"-Reihe Filmgeschichte geschrieben. Bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin wurde er jetzt mit der Berlinale Kamera ausgezeichnet. Und einen neuen Reitz-Film gibt es auch noch.

Fast 70 Jahre Film – Edgar Reitz ist einer der großen deutschen Regisseure. Preisgekrönt und gerade frisch mit der Berlinale Kamera für sein Filmschaffen geehrt. Mit 91 Jahren zeigt er dort auch sein jüngstes Werk: Die Doku Filmstunde_23. Und das soll noch nicht alles gewesen sein. Denn der nächste Film ist schon in Arbeit.

Filmstill aus Filmstunde_23
1968 unternimmt Regisseur Edgar Reitz den ersten Versuch, in einem Münchner Mädchen-Gymnasium eine Klasse im Fach "Filmästhetik" zu unterrichten. Die ersten selbst gestalteten Filme entstanden damals mit Super-8-Material.

"Ich bin immer in der Lage sagen zu können, wenn ich morgen einen Film machen müsste, wüsste ich gleich was", hat Edgar Reitz einmal gesagt. "Das filmische Erzählen ist mir sozusagen in die Wiege gelegt. Da habe ich noch nie Stoffmangel empfunden." Die Inspiration für den Stoff seiner größten Erfolge bezog er vor allem aus seinen Wurzeln im Hunsrück.

Zurück zu den Wurzeln im Hunsrück

Edgar Reitz wird 1932 als Sohn eines Uhrmachers in Morbach im Hunsrück geboren. Als Kind will er Dichter werden, schwärmt für Literatur und Theater. Zum Studium zieht es Reitz dann nach München, wo er das Filmhandwerk von der Pike auf lernt und erste Kurzfilme dreht.

Später arbeitet er mit Größen wie Alexander Kluge und Rainer Werner Fassbinder zusammen. Erfindet mit ihnen den sogenannten Autorenfilm. Einen ersten Spielfilm dreht er 1966 und erhält prompt beim Filmfestival in Venedig den Preis für das beste Spielfilmdebüt. Danach geht es allerdings bergab: Seine frühen Spielfilme wie "Die Reise nach Wien" oder "Der Schneider von Ulm" kommen beim Publikum nicht an. Fast pleite erfindet sich Edgar Reitz damals neu - und besinnt sich auf seine Heimat.

Zeitgenossen Edgar Reitz „Ich habe mich als Pionier gefühlt“

Edgar Reitz sagte mal, dass die Wiederbegegnung mit seiner Heimatlandschaft Hunsrück sein Interesse am Geschichtenerzählen erst so richtig geweckt habe. Seine Jahrhundertchronik über das Hunsrückdorf Schabbach hat Filmgeschichte geschrieben.

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Das steckt hinter dem Erfolg von Edgar Reitz

1981 beginnen die Dreharbeiten zu "Heimat". Der erste Teil über die Familiensaga der Simons aus dem fiktiven Ort Schabbach wird direkt zum Welterfolg. Der Begriff Heimat, der bis dahin verpönt war, weil belastet durch die NS-Ideologie, wird wieder aufgewertet und bekommt einen neuen Klang. Der Film hat eine enorme Wirkung.

Ein Grund des Erfolges für Reitz: "Ich habe immer wieder bemerkt, dass man umso besser verstanden wird in der ganzen Welt, je besser man sich selbst versteht. Also wenn man wirklich in die Tiefe geht, wenn man seine eigene Geschichte erkundet."

Dazu gehört auch die Authentizität der "Heimat"-Reihe, die vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Deutschen Einheit und danach spielt. Ganze Hunsrückdörfer wurden zur Kulisse und die Bewohner zu Darstellern: "Wir haben uns hier tatsächlich anderthalb Jahre in das Dorf gesetzt, mit den Leuten gesprochen, uns vertieft und diese Drehbücher so entstehen lassen", blickt der Regisseur und Autor auf die Dreharbeiten.

Den Begriff Heimat neu geprägt

Viele Menschen beginnen, sich durch die Filme mit ihren Wurzeln zu beschäftigen. Auch der Filmemacher selbst: "Ich habe bemerkt bei diesem Film, bei den Vorbereitungen und bei der Drehbucharbeit, dass ich eigentlich meine Heimat erst kennenlerne durch diese Art der Beschäftigung", erklärt er in einem Interview während der Dreharbeiten.

Aussiedler verlassen auf Pferdewagen den Hunsrück gen Brasilien in einer Szene des Kinofilms "Die andere Heimat" von Regisseur Edgar Reitz.
Aussiedler verlassen auf Pferdewagen den Hunsrück gen Brasilien in einer Szene des Kinofilms "Die andere Heimat" von Regisseur Edgar Reitz.

Edgar Reitz hat dem Hunsrück mit "Heimat" ein Denkmal gesetzt. Zum Titel geht er heute jedoch auf Distanz und mahnt zur Vorsicht, da die Heimat wieder droht, vereinnahmt und missbraucht zu werden.

"Ich würde sehr lange zögern, ob ich meinen Film wieder Heimat nennen würde. Es war damals ein Moment, wo man mit diesem Begriff ein Stück Freiheit - und darin steckt die Liebe zu den Menschen - ausdrücken konnte. Inzwischen ist es wieder ideologisch so überfüllt", so Reitz bei einem Filmgespräch im August 2023.

Immer noch im Hunsrück präsent

"Heimat" mit allen seinen Teilen umfasst am Ende insgesamt 31 Einzelfilme mit 54 Stunden Gesamtlänge und macht Edgar Reitz zu einem der einflussreichsten Filmemacher seiner Generation.

Auch im Hunsrück wird er immer noch gefeiert: Als Schirmherr der HEIMAT EUROPA Filmfestspiele in Simmern oder im Heimat-Cafe mit Mini-Kino im Geburtshaus in Morbach. Und vielleicht gibt es da ja in Zukunft noch mehr Reitz-Filme zu sehen. Denn das Filmemachen lässt Edgar Reitz auch mit 91 Jahren nicht los.

Darum soll es im nächsten Film von Edgar Reitz gehen

Als nächstes will er einen Spielfilm über den Aufklärer und Denker Gottfried W. Leibniz drehen. Ein Projekt, das Reitz schon länger in der Schublade hatte, über das er jedoch bisher wenig verraten hat, da die Finanzierung lange unklar war. "Ich habe mir angewöhnt, über Filme, Filmprojekte immer erst zu reden, wenn wir das Geld haben. Das ist ja immer das Problem. Wie finanziert man einen Autorenfilm in Deutschland", sagte er noch im August im SWR-Interview.

Jetzt kam durch Zusagen der Filmförderungsanstalt FFA und der Medienförderung Rheinland-Pfalz offenbar genug Geld zusammen, um das Projekt umzusetzen. Der Stoff: Gottfried W. Leibniz, der auch in Mainz als Jurist wirkte, wird im Auftrag der Kurfürstin Sophie von Hannover gemalt. Während der Porträtsitzungen entsteht ein leidenschaftliches Ringen des Philosophen mit der jungen Malerin, um die Wahrheit in Bild und Abbild, und schließlich von Liebe und Tod.

Zeitgenossen Edgar Reitz „Ich habe mich als Pionier gefühlt“

Edgar Reitz sagte mal, dass die Wiederbegegnung mit seiner Heimatlandschaft Hunsrück sein Interesse am Geschichtenerzählen erst so richtig geweckt habe. Seine Jahrhundertchronik über das Hunsrückdorf Schabbach hat Filmgeschichte geschrieben. Anfang der 60er-Jahre veröffentlichte er gemeinsam mit anderen das sogenannte Oberhausener Manifest.

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