Als Saskia Gruber die Tür öffnet, wird sie freudig von Janosch und Juno begrüßt. Die beiden Hunde sind Teil einer ganz besonderen Familie - einer SOS-Kinderdorffamilie in Eisenberg. Es ist Vormittag, die Kinder sind in Kita und Schule. Deswegen ist es ruhig im Haus der 43-jährigen Kinderdorfmutter. Doch wirkliche Ruhe hat Saskia Gruber nicht. Putzen, Berichte schreiben, dann ist da auch noch der Garten...
Seit mehr als sechs Jahren lebt Gruber im SOS-Kinderdorf Pfalz in Eisenberg. Zuvor arbeitete sie lange Jahre in einer anderen Jugendhilfeeinrichtung. Dort war sie eigentlich auch zufrieden. "Wir hatten aber eine ganz hohe Fluktuation an Kindern. Da ist jedes Mal ein Stück Herz mitgegangen", sagt die 43-Jährige. Das auch, als sie drei Geschwisterkinder in einer Familie oder Einrichtung zusammen unterbringen sollte. "Das ist in Deutschland gar nicht so einfach", erzählt sie.
Kinderdorfmütter sind rund um die Uhr in Eisenberg da
Schließlich landete Saskia Gruber mit den Geschwisterkindern im Kinderdorf in Eisenberg. Und war begeistert. "Ich habe beschlossen zu bleiben, weil ich von dem Konzept einfach total überzeugt bin", sagt sie. Mit sechs Kindern und den zwei Hunden lebt sie als Kinderdorfmutter in einem Haus. Unterstützt wird sie von einem pädagogischen Team und Azubis. Rund um die Uhr ist aber eben nur die Kinderdorfmutter im Haus. "Das war schon eine sehr einschneidende Entscheidung", sagt sie.
Menschen wie Saskia Gruber gibt es aber immer weniger. Waren es mal 14 Kinderdorffamilien in der 65-jährigen Geschichte des SOS-Kinderdorfes in Eisenberg, sind es heute noch fünf. Es fehlt an Kinderdorfmüttern oder Kinderdorfvätern, die dort als pädagogische Fachkräfte leben und arbeiten wollen. Das ist nicht nur in Eisenberg so. Immer weniger Fachkräfte wollen eine so vereinnahmende Aufgabe übernehmen. Saskia Gruber bedauert das. So fehle auch der Austausch untereinander.
Kinder bringen oft eine schwierige Vorgeschichte mit
Und sollte es irgendwann mal gar keine Kinderdorffamilien mehr geben, wäre das ein großer Verlust für alle Kinder, "die Jugendhilfe brauchen und eventuell die Möglichkeit hätten zu uns zu kommen und nochmal Beziehung und Familie leben zu können", sagt Gruber.
Kinder, die ganz oft eine schwierige Vorgeschichte mitbringen. Die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können, zum Teil traumatisiert sind und intensiv betreut werden. Geschwisterkinder sollen dabei zusammenbleiben und weiterhin in einer Familie leben können. Das soll ihnen helfen, neuen Halt zu finden. So sieht es das Konzept der SOS-Kinderdörfer vor.
54-Jährige fängt mit Adoptivtochter in Eisenberg neu an
Birgit Strauß hatte sich vor etwas mehr als zwei Jahren dazu entschieden, nochmal neu anzufangen und zusammen mit ihrer Adoptivtochter ins SOS-Kinderdorf Pfalz zu ziehen - als Kinderdorfmutter. Sie ist nun sozusagen von Beruf Mama. "Für Alleinerziehende ist das eine gute Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten und Kinder zu betreuen", sagt sie.
Mit ihrer Adoptivtochter hatte das Birgit Strauß, die zuvor als Erzieherin arbeitete, vorab besprochen. "Sie hat sich gefreut - bis ihr bewusst geworden ist, dass wir dafür auch umziehen müssen", sagt sie mit einem Schmunzeln. Doch das Zusammenleben mit fünf neuen Geschwistern im Alter von fünf bis zur 15-jährigen Adoptivtochter selbst funktioniere gut. Auch wenn es anfangs eine Herausforderung war.
Auch für die Kinder eine besondere Situation im SOS-Kinderdorf
Denn schließlich kamen nicht nur Birgit Strauß und ihre Tochter neu nach Eisenberg, sondern auch nach und nach die Kinder, die nun in einem SOS-Kinderdorf leben. "Auch für die Kinder war das etwas Endgültiges. Das ist nicht wie im Kindergarten, wo man wieder nach Hause kann. Ich hatte vorher ganz schön Bauchschmerzen", erzählt die 54-Jährige.
Heute ist sie froh über den Schritt. Auch wenn sie einige Kinder Mama nennen - dass sie nicht ihre echte Mutter ist, hat sie allen klar gemacht. "Ich sage immer: 'Du kannst sagen, wie es sich gerade anfühlt.' Oft sage ich auch: 'Ihr seid eigentlich in einer super Situation. Ihr habt nämlich zwei Mamas.'" Den leiblichen Eltern wolle sie keinesfalls den Rang ablaufen. Viele kommen auch regelmäßig zu Besuch.
Kinder im SOS-Kinderdorf Pfalz brauchen feste Struktur
Von der Gemeinschaft in Eisenberg schwärmt Birgit Strauß. Sie ist auch Sprecherin der Kinderdorfmütter. Und auch sie wünscht sich, dass mehr Menschen den Schritt wie sie wagen. Was würde sie jemandem sagen, der sich dafür interessiert, Kinderdorfmutter oder Kinderdorfvater zu werden? "Dass es ein großer Schritt ist, den man sich wirklich gut überlegen soll."
Die Kinder bräuchten ihre feste Struktur, seien herausfordernd. "Das habe ich auch ein bisschen unterschätzt", gesteht Strauß - fügt dann aber auch hinzu: "Es ist eine schöne Aufgabe. Wenn die Kinder pfeifend durchs Haus laufen und man merkt, die sind jetzt hier angekommen - das ist eigentlich schon Lohn genug."
Kein Kinderdorfvater in Eisenberg
Saskia Gruber sieht das genauso. Besondere Kinder brauchen besondere Menschen, heißt es in Eisenberg. Das bedeutet aber auch, dass bei der Kinderdorfmutter mal der Kopf raucht, es - wie in jeder Familie - mal Ärger oder Probleme im Haus gibt. Gruber versucht das möglichst direkt noch an dem Tag zu klären. Ihr Motto: "Jeder neue Tag fängt auch neu an."
Um an freien Tagen oder während des Urlaubs runter- und rauszukommen, schaltet Saskia Gruber in ihrer Wohnung ab, die sie weiterhin hat - oder fährt weg. Gut sei, dass man sich innerhalb einer großen Gemeinschaft auch untereinander austauschen kann - beispielsweise mal bei der Kinderdorfmutter nebenan klingeln und mit ihr über Probleme sprechen kann.
Einen Kinderdorfvater gibt es in Eisenberg derzeit übrigens nicht. Die beiden Mütter bedauern dies. Zumal es auch die Möglichkeit gebe, mit einem Partner oder einer Partnerin in Eisenberg einzuziehen. Saskia Gruber und Birgit Strauß hoffen jedenfalls, dass sie in Zukunft weitere, neue Kinderdorfmütter oder eben auch -väter als Nachbarn in Eisenberg bekommen.