Aktionstage "Respekt.Bitte!"

Gefährlicher Job: Gerichtsvollzieher in RLP oft in Gefahr

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Oft kommt es aus dem Nichts zur Aggression, eine Situation wird urplötzlich brenzlig. Das bekommen Gerichtsvollzieher bei Zwangsräumungen oder Polizisten bei Einsätzen zu spüren - und zwar immer häufiger.

"Arme eng am Körper lassen", ermahnt der Justizwachtmeister. Er weiß, wie er sich bei Angriffen schützen kann und gibt sein Wissen gemeinsam mit einer Kollegin in Sicherheitstrainings weiter. An diesem Dienstag, dem ersten Tag der Rheinland-Pfalz-weiten Aktionstage für Respekt gegenüber Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, schaut ihm Justizminister Herbert Mertin (FDP) dabei zu, wie er im Saal 16 des Amtsgerichts Mainz drei Gerichtsvollzieher instruiert. 

Gerichtsvollzieher müssen wissen, wie sie reagieren müssen

Der Wachtmeister rät, leicht in die Knie zu gehen, um sich etwas besser vor Tritten gegen das Kniegelenk zu schützen - und er empfiehlt das Ausnutzen kurzer Schockmomente, wenn es denn sein muss. Das heißt, bei der Abwehr einer Attacke kurz schreien, dann schnell einen Schritt zurück und das Reizspray zücken.

"Man weiß selten, was einen hinter der Tür erwartet."

Dass Gerichtsvollzieher in Rheinland-Pfalz solch ein Wissen benötigen, ist traurig, aber Realität angesichts nicht seltener Aggressionen, die ihnen etwa bei Räumungen oder auch bei Kindes-Wegnahmen, manchmal auch bei völlig harmlosen Aufträgen entgegenschlagen.  "Man weiß selten, was einen hinter der Tür erwartet", sagt Markus Greef, selbst Obergerichtsvollzieher und Vorsitzender des Gerichtsvollzieherverbundes Rheinland-Pfalz.

90 Prozent der Gerichtsvollzieher schon mal bedroht oder beleidigt

Er verweist auf eine Befragung verschiedener Berufsgruppen des Instituts für Kriminologie der Universität Gießen aus dem Jahr 2019. Seinerzeit sei bei den befragten Gerichtsvollziehern herausgekommen, dass bis zu 90 Prozent schon mal bedroht oder beleidigt worden seien, die Hälfte schon einmal körperlich angegangen worden sei. Die Vorfälle reichten von Drohungen über nächtlichen Telefonterror bis hin zum Mitschneiden von Einsätzen und dem Einstellen ins Internet.

Als konkrete Beispiele aus Rheinland-Pfalz nennt er Morddrohungen gegen einen Kollegen aus dem Gebiet des Amtsgerichts Trier, einen Messerangriff und einen Brandanschlag bei Räumungen in Ludwigshafen oder einen Mordanschlag auf einen Kollegen in Kaiserslautern.

Guido Krieg, ebenfalls Obergerichtsvollzieher in Mainz, sagt, oft seien er und seine Kollegen alleine unterwegs. Es könne wichtig sein, nach möglichen Fluchtwegen Ausschau zu halten, Erfahrung helfe dabei. Und wenn sich eine Situation komisch oder bedrohlich anfühlt? "Lieber zurückziehen und noch mal hingehen", sagt Krieg. 

Alarmknopf für Notfälle

Um Gerichtsvollzieher zu schützen, bekommen sie in Rheinland-Pfalz mittlerweile unentgeltlich maßgeschneiderte Schutzwesten, es gibt Deeskalationskurse für sie und auch Kurse für den Umgang mit Reizspray. Das Justizministerium arbeitet Mertin zufolge daran, einen Alarmknopf bereitzustellen, den Gerichtsvollzieher in gefährlichen Situationen drücken und so Hilfe holen können. Derzeit fänden dazu Gespräche mit Unternehmen statt, das System müsse in die Alarmkette integriert werden, das sei nicht ganz einfach. 

Die rund 190 Gerichtsvollzieher in Rheinland-Pfalz seien oft an "vorderster Front" und in "emotional geladenen Situationen" unterwegs, sagt Mertin. Mit Aggression müssen sich aber auch Richter oder Rechtspfleger auseinandersetzen und abseits der Justiz viele andere der insgesamt rund 100.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Land.

Aktionstage "Respekt. Bitte!" sollen aufmerksam machen

Auf deren Situation, auf ihre Ängste und mögliche Gefahren sollen in Rheinland-Pfalz seit 2019 die Aktionstage "Respekt. Bitte!" hinweisen. Sie sind am Dienstag der Anlass für Mertins Besuch bei dem Sicherheitstraining und führen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Innenminister Michael Ebling (beide SPD) kurz darauf in das Polizeipräsidium Einsatz, Logistik und Technik in Mainz-Hechtsheim. Dort berichten Polizisten von ihren Erlebnissen.

Ein Beamter schildert, wie er bei einer Verkehrskontrolle im südpfälzischen Kandel beinahe absichtlich angefahren worden sei. Er habe die Waffe schon gezückt, der Autofahrer habe erst im allerletzten Moment direkt vor ihm angehalten. Ein Kollege berichtet von einem Einsatz an einem Rosenmontag in Mainz. Ein aggressiver Betrunkener sei in eine Gewahrsamszelle gebracht und dort still geworden. Er habe nach ihm sehen wollen, die Klappe der Zellentür geöffnet und daraufhin blutige Spucke abbekommen.

Polizisten werden gezielt gebissen

So etwas sei nicht nur eklig und respektlos und solle erniedrigen, sagt Polizeipsychologe Frank Hallenberger. Es sei auch gefährlich angesichts der möglichen Übertragung von Krankheiten. Polizisten würden teils gezielt gebissen, um sie etwa mit HIV oder Hepatitis anzustecken. 

Laut Staatskanzlei ist die Gewalt gegen polizeiliche Einsatzkräfte 2021 zunächst etwas zurückgegangen, um dann im vergangenen Jahr wieder anzusteigen - und zwar um etwa 15 Prozent. 2022 wurden demnach 1.788 Gewaltdelikte gegen Polizisten gezählt. Das seien auch elf Prozent mehr als der Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 gewesen, also mehr als eine Momentaufnahme.

Angriffe auf Rettungsdienste nehmen zu

So gar nicht besser sieht es bei Angriffen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Rettungsdiensten aus. 2022 kam es in 156 Fällen zu Angriffen - 42 Fälle mehr als im Jahr davor und rund 44 Prozent mehr als im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021. "Die Fallzahlen der Gewaltdelikte gegen Angehörige der Feuerwehr unterliegen starken Schwankungen und bewegen sich in Rheinland-Pfalz weiterhin auf einem niedrigen Niveau", so die Staatskanzlei. 

Der Angriff ist das eine, die Folgen sind das andere. Oft komme es zu psychischen Problemen, sagt Mertin etwa mit Blick auf die Gerichtsvollzieher. Obergerichtsvollzieher Greef schildert eine eigene Erfahrung aus dem Jahr 2004 - geschehen an einem Freitag, den 13., wie er sagt. Damals habe er entdeckt, dass die Reifen an seinem Auto plattgestochen wurden, dann sei auf ihn geschossen worden. Er habe überlebt, weil er sich instinktiv weggedreht habe. Anschließend habe er vor der Wahl gestanden, ob er mit seinem Job aufhöre oder weitermache. Greef hat sich für das Weitermachen entschieden. 

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