Barley zu SPD-Stimmenverlust bei Europawahl: Enttäuscht und überrascht

Stand
Autor/in
Bernhard Seiler
Bernhard Seiler steht im Gang eines SWR-Gebäudes.
Onlinefassung
Stefan Eich

Bei der Europawahl hat die SPD 13,9 Prozent der Stimmen in Deutschland bekommen. Das sind 1,9 Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren – und sie ist damit hinter die AfD gerutscht. Beides sei enttäuschend, erklärt SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Bernhard Seiler. Nun komme es auch darauf an, ob die Konservativen im EU-Parlament wie bisher mit den demokratischen Fraktionen zusammenarbeiten- oder mit den Rechtspopulisten.

SWR Aktuell: Sie wirkten gestern Abend in ersten Statements überrascht über dieses Ergebnis. Waren Sie es?

Katarina Barley: Nein, natürlich nicht. Ich war eher geschockt und auch enttäuscht, dass es tatsächlich dann doch so gekommen ist. Das ist eine Entwicklung, die wir ja schon seit vielen Jahren sehen in Europa und die auch in allen Mitgliedstaaten stattfindet und stattgefunden hat. Insofern war das natürlich nicht überraschend, aber Sie werden verstehen, dass wir gerade als Sozialdemokratie mit unserer historischen Tradition uns vehement gegen einen solchen Rechtsruck stemmen. Und wenn er dann doch stattfindet, dann ist das schon sehr, sehr ernüchternd.

SWR Aktuell: In anderen Ländern hat der Rechtsruck im Vergleich zu Deutschland noch größere Ausmaße. In Frankreich zum Beispiel ist der Rassemblement National stärkste Kraft geworden, in Österreich die FPÖ. Wieviel Sorgen macht Ihnen das?

Barley: Das macht mir riesige Sorgen. Und das habe ich ja auch versucht, in diesem Wahlkampf rüberzubringen, dass diese Europäische Union sich verändern wird, wenn wir solche Parteien immer stärker in Verantwortung in den Regierungen und auch stärker im Parlament haben werden. Und ich glaube, den Menschen ist gar nicht bewusst, was das eigentlich bedeutet, was das für Leute sind und was das für die Europäische Union heißt. Denn wir sind froh darüber, dass wir gute Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten haben, dass wir Frieden haben in der Europäischen Union, und dass wir miteinander arbeiten, sodass alle was davon haben. Und dieser Konsens ist dann eben auch gefährdet.

"AfD jubelt natürlich, aber deren Erwartungen waren sicher höher"

SWR Aktuell: Sie haben im Wahlkampf explizit darauf abgezielt, den Rechtsruck zu stoppen. Hat das dann offenbar nicht verfangen?

Barley: Wir haben das offensichtlich nicht in dem Maße verhindern können, wie wir das wollten. Man muss ja nun auch ehrlich sagen, dass die AfD auch andere Ziele hatte. Die waren zwischenzeitlich in den Umfragen auch schon mal deutlich bei 20 Prozent. Die jubeln natürlich auch immer, klar, aber deren Erwartungen waren sicher höher. Es ist schon im Vergleich zu anderen europäischen Ländern noch ein „blaues Auge“. Aber das hilft ja nicht. Das würde ich auch so nicht in den Vordergrund stellen wollen. Gerade mit unserer historischen Geschichte, auch als Land, finde ich das immer noch sehr, sehr bedrückend, diese Entwicklung.

SWR Aktuell: Man sagt ja, bei der Europawahl wird auch sehr stark vor dem Hintergrund der nationalen Politik abgestimmt, in dem Fall also vor dem Hintergrund der Politik der Ampelkoalition. Wieviel „Ampel-Frust“ steckt denn aus Ihrer Sicht in diesem Europawahlergebnis?

Barley: Der „Ampel-Frust“ ist da bei vielen, das ist ja offensichtlich. Aber wie gesagt: Wir haben diesen Rechtsruck ja auch in Ländern, wo Konservative regieren. In Österreich regieren die Konservativen zusammen mit den Grünen, wir haben das in Ländern, wo Liberale regieren wie in Frankreich. Das ist ja ein Phänomen, das wir in ganz Europa und sogar weltweit sehen - wenn wir darauf schauen, dass jemand wie Donald Trump immer noch die Möglichkeit hat, wieder Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Also: Das ist ein weltweites Phänomen, was es jetzt für uns nicht tröstlicher macht.

SWR Aktuell: Nun ist dieses Ergebnis da, und man muss irgendwie damit leben, auch bei der künftigen Arbeit im Europaparlament. Was erwarten Sie? Wird die informelle große Koalition doch weitergehen, die es ja bisher gab? Oder wird die EVP-Fraktion, in der ja auch die Union vertreten ist, ihre Fühler weiter zu dieser gestärkten Rechten ausstrecken und dann vielleicht den Green Deal absägen oder die Migrationspolitik weiter verschärfen? Was vermuten Sie?

Barley: Ja, das ist die große Frage. Wenn wir uns die Sitzverteilung im Europäischen Parlament anschauen, dann haben die Konservativen ganz leicht gewonnen im einstelligen Bereich, sieben Sitze oder so. Die Sozialdemokratie hat minimal verloren, drei Sitze. Also: Wir sind nach wie vor die stärksten zwei Gruppierungen. Die Liberalen und die Grünen haben jeweils viel verloren, und die Rechten haben stark hinzugewonnen über ganz Europa hinweg. Es reicht für diese demokratische Zusammenarbeit, die wir in der letzten Legislaturperiode hatten. Man muss wissen: Im Europäischen Parlament gibt es nicht feste Koalitionen, sondern in jeder Abstimmung müssten die Mehrheiten neu gesucht werden. Es liegt jetzt an den Konservativen, auch an CDU und CSU, sich da zu entscheiden. Denn für uns ist ganz klar, dass wir mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen in so eine Form von Zusammenarbeit nicht eintreten. Und die Konservativen müssen sich jetzt entscheiden: Gehen sie mit den Demokraten, oder gehen sie mit den Rechtspopulisten?