Die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus warnt davor, Unterschiede zwischen Betroffenen von sexueller Gewalt zu machen. Missbrauch finde nicht nur in Kirche oder Sport statt. Daran muss sich Aufarbeitung orientieren.
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Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, warnt davor, Betroffene erster, zweiter und dritter Klasse zu schaffen, indem man vor allem auf die Institutionen, die Kirchen oder den Sport schaut und dabei andere Betroffene aus dem Bick verliert. Auch dürfe es keinen Schlusspunkt bei der Aufarbeitung geben, das werde den individuellen Bedürfnissen nicht gerecht. Das Interview der Woche mit Kerstin Claus hat SWR-Redakteurin Silke Arning geführt.
Die Aufarbeitung in der katholischen Kirche ist professioneller geworden, meint die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Gleichzeitig bedeute das nicht, dass alles in guter Qualität passiert. Im SWR Interview der Woche sprach Kerstin Claus davon, dass oft nicht gesehen werde, was Betroffene wirklich brauchen. "Betroffene müssen sichtbar werden und brauchen individuelle Rechte. Und da sind wir tatsächlich bisher noch in keiner Weise." Aufarbeitung müsse diese Rechte stärken: also ein Recht auf Akteneinsicht, auf Begleitung und ein Gegenüber, auf Gegendarstellung bei einseitiger Dokumentation. Es sei ihr ein besonderes Anliegen, diese Rechte über die die gesetzliche Verankerung ihres Amtes zu stärken. Die Missbrauchsbeauftragte rechnet damit, dass das Gesetz noch dieses Jahr verabschiedet wird.
Keine Betroffenen erster, zweiter und dritter Klasse
Kerstin Claus warnte davor, bei der Aufarbeitung vor allem auf die Institutionen, die Kirchen und vielleicht noch den Sport zu schauen und dabei die anderen Betroffenen aus dem Blick zu verlieren. Nach dem Motto "Pech gehabt". "Wir dürfen nicht Betroffene erster, zweiter und dritter Klasse schaffen!" Kritisch sieht die Missbrauchsbeauftragte auch die Tendenz, über Aufarbeitungs- oder Wahrheitskommissionen einen Schlusspunkt setzen zu wollen. Das werde den Bedürfnissen individuell nicht gerecht. Ein individuelles Recht auf Aufarbeitung ist nach Ansicht von Kerstin Claus auch ein Teil der staatlichen Verantwortungsübernahme.
"Alles, was man nicht tut, fällt einem vor die Füße"
Der Missbrauchsskandal habe die Verhältnisse verschoben. Ethisch, moralisch hatte die Kirche ein Wächteramt, das nun eigentlich der Staat über die Kirchen übernehmen müsste, meint Kerstin Claus. Spannend findet sie: "Wenn man auf die katholische und auch die evangelische Kirche guckt oder jetzt auch auf den Sport, dann sieht man, dass alles, was man nicht tut, nicht getan hat – das fällt einem vor die Füße". Die Konsequenz für die Missbrauchsbeauftragte daraus ist: sich heute dem Thema stellen, die eigene Geschichte sichtbar und damit eine Art vorweggenommene Krisenintervention machen, "um nicht in so ein destabilisierendes Fahrwasser zu kommen". Das sehe man jetzt bei der Kirche. "Weil so viel vertuscht, gelogen, so unmenschlich teilweise auf Betroffene geschaut wurde, dass da viele Menschen nicht mehr mitgehen können."
Kirche ohne Kitt – gesellschaftlich ein Verlust
Im SWR Interview der Woche äußerte Kerstin Claus ihr Bedauern darüber, dass Kirche mit dem Missbrauchsthema immer wieder so mangelhaft, so defizitär umgehe. Alles, was Zusammenhalt und Stabilität in einer immer vereinzelter wirkenden Gesellschaft fördert, sei etwas sehr Wichtiges. Der Kitt, den Kirche hier leisten konnte, ist für die Missbrauchsbeauftragte auf der Strecke geblieben. "Das ist gesellschaftlich gesehen ein Verlust."
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