SWR Aktuell: Es ist gut, wenn jemand einsieht, dass er Hilfe braucht. Wie könnte ein erster Schritt dazu aussehen?
Kommunikationsexperte Peter Rach: Es gibt Techniken, die einem dabei helfen, den ersten Impuls unter Kontrolle zu bringen. Man kann sich selbst einen Anker setzen, der einen - immer, wenn die innere Wallung kommt - daran erinnert, wie man eigentlich reagieren will.
SWR Aktuell: Mit Boris Palmer würde man ja einen Polit-Profi coachen, der mit seiner Art dreimal zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Da hat man als Coach einen schweren Job, oder?
Rach: Das hängt davon ab, ob der Klient gecoacht werden möchte - und ob er wirklich bereit für eine Veränderung ist. Politiker benutzen ja gerne die Technik des Populismus, sie provozieren gerne, sie überzeichnen, weil das so schön polarisiert und Wähler bringt. Das hat aber auch Nachteile, nämlich, dass man sich auch Feinde macht. Da muss ich überlegen: Ist das eine Strategie, die ich auf Dauer verwenden will?
SWR Aktuell: Wie komme ich als Politiker vom Absenden zum Zuhören?
Rach: Die meisten Politiker verfolgen die Strategie des Sendens ihrer Positionen - aber um Gottes willen nicht zuhören! Denn wenn man seine Position aufweichen lässt, besteht die Gefahr, dass man Wählerstimmen verliert. Wenn ich die Strategie wechsle, dann werde ich ein guter Gesprächspartner. Dann höre ich hin und versuche nicht nur Gemeinsamkeiten zu entdecken, sondern auch die Unterschiede - mit der Frage: Kann ich aus den Unterschieden etwas lernen?
SWR Aktuell: Jetzt gibt es ja auch das Phänomen, dass, wenn man sich zurücknimmt, das Feuer erst noch schürt - weil der andere sich streiten will?
Rach: Und oft entscheidet ein kleines bisschen der Tonfall! Ich kann den Satz "Ja ich verstehe, dass Sie da ein Problem mit mir haben" so betonen, dass es wie ein Angriff klingt. Die Technik ist aber eigentlich eine andere: nämlich den Druck rauszunehmen. Statt auf Druck mit Gegendruck zu reagieren, gehe ich mit der Energie mit und sage: "Es interessiert mich, wie Sie das sehen!" Und wenn das ehrliches Interesse ist, klingt das schon total anders und dann merkt der andere: Komisch, das ist ja gar kein Kampf! Und schon sind wir in einem gesunden Dialog.
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Am Freitag hatte Tübingens OB Palmer bei einer Konferenz das N-Wort verwendet und einen Eklat ausgelöst. Jetzt ist er krankgemeldet und will eine Auszeit im Juni nehmen.
SWR Aktuell: In Zeiten, in denen verbale persönliche Angriffe zunehmen, Stichwort Beschimpfungen von Rettungskräften, bräuchten wir nicht flächendeckend ein Coaching? Und wie könnte das aussehen?
Rach: Da passiert schon ganz viel, zum Beispiel an Schulen. Schüler werden etwa zu Konflikthelfern ausgebildet - da lernt man, in einen Dialog zu gehen, anstatt die Dinge aggressiv auszutragen. Ich denke, da spielen auch die Medien eine große Rolle - sie haben die Möglichkeit zu transportieren, wie man eigentlich miteinander umgehen sollte.
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Nach dem Eklat um den Tübinger OB haben verschiedene Politiker Palmers Parteiaustritt kommentiert. Viele finden die Entscheidung richtig und respektabel.
SWR Aktuell: Kann Boris Palmer sich als Oberbürgermeister, also als Person des öffentlichen Lebens, überhaupt so rausziehen und neu anfangen?
Rach: Veränderung passiert in kleinen Schritten. Der Populismus, den er pflegt, hat ihm ja auch geholfen, Wahlen zu gewinnen - insofern wird er sich nicht um 180 Grad drehen. Er könnte eine Spur diplomatischer werden, sodass er nach wie vor seinem Politiker-Handwerk nachgehen kann - ohne dass man extrem verletzend ist und Grenzen überschreitet.
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"So geht es nicht weiter" hat Boris Palmer selbst in seiner Erklärung geschrieben. Mit dieser Ansicht ist er nicht alleine. Wissenschaftler sind sich einig: Diesmal ging er deutlich zu weit.