Die Zahl der Beschäftigten hat 2024 in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Der Arbeitsmarktforscher Stefan Sell sieht trotzdem sehr beunruhigende Anzeichen.
"Das ganz besonders Dramatische ist, dass wir in das eingetreten sind, was die Ökonomen als Deindustrialisierung bezeichnen", sagt der Arbeitsmarktexperte der Hochschule Koblenz im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Gerhard Leitner. Im Industriebereich würden jeden Monat mehrere tausend gut bezahlte Jobs verloren gehen. Insgesamt ging die Zahl der Beschäftigten in der Industrie im Jahr 2024 um 50.000 zurück.
Bei den Industrie-Arbeitsplätzen ist ein "Kipppunkt" erreicht
Bisher hätten sich die Firmen mit Entlassung zurückgehalten. Die Arbeitgeber wollten ihre gut qualifizierten Arbeitskräfte für einen möglichen wirtschaftlichen Aufschwung behalten. "Doch offensichtlich haben wir jetzt einen Kipppunkt erreicht, dass die Industrieunternehmen die Hoffnung aufgegeben haben", ergänzt Stefan Sell. Und deshalb würden Beschäftigte in steigendem Maße ihren Arbeitsplatz verlieren.
Baden-Württemberg von Jobverlusten besonders betroffen
Die Automobilindustrie und die mittelständischen Zulieferer in Baden-Württemberg müssten sich auf besonders harte Zeiten einstellen. "Es gibt Studien für den Großraum Stuttgart, dass mindestens ein Drittel der heute dort noch im Automobilbereich vorhandenen Arbeitsplätze wegfallen wird", warnt der Arbeitsmarktexperte. Gleiches gelte für den Maschinenbau. Die Unternehmen würden zunehmend auch im Hochpreis-Segment von der chinesischen Konkurrenz unter Druck gesetzt. "Das ist eine zweite, sehr beunruhigende Entwicklung."
Auch Baugewerbe entlässt Beschäftigte
Fast noch dramatischer bewertet Stefan Sell die Lage im Baugewerbe. 2024 gingen 28.000 Stellen verloren und das vor dem Hintergrund, dass wir laut Bundesregierung 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bräuchten. Mit Glück würden 250.000 entstehen. Es werde zu wenig gebaut und jetzt fielen auch noch Jobs weg. "Das ist eine sehr alarmierende Entwicklung", resümiert der Arbeitsmarktexperte.