Vorwürfe rund um Entscheidung zu Atomausstieg

Umweltministerin Lemke sieht Untersuchungsausschuss gelassen

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Mäurer, Dietrich Karl

Haben grüne Minister beim Atom-Aus getrickst, um der Parteibasis als Erfolg drei abgeschaltete AKWs zu präsentieren? Die Union will einen Untersuchungsausschuss. Umweltministerin Lemke bleibt gelassen.

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Im April vergangenen Jahres gingen die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz. Die Fraktion von CDU und CSU im Bundestag will die Umstände der Entscheidung für das AKW-Aus in einem Untersuchungsausschuss beleuchten. Im Bundestag wurde darüber bereits diskutiert. Eingesetzt ist das Gremium noch nicht. Die Union hofft, dass das rasch passiert. Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen erklärt im 'Interview der Woche' des ARD-Hauptstadtstudios Berlin, sie sehe einem Beschluss zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses "sehr gelassen entgegen".

Wurde bei Atomentscheidung getrickst?

Die CDU/CSU-Fraktion will in dem Ausschuss klären, ob im Vorfeld der Abschaltung der drei Atommeiler wirklich alle Optionen einer weiteren Laufzeitverlängerung geprüft wurden. Nach einem Bericht des Magazins 'Cicero' sollen im Frühjahr 2022 sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium interne Bedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein. Die Unionsparteien werfen den beiden grünen Ministern Lemke und Habeck vor, bei der Entscheidungsfindung getrieben von 'grüner Ideologie' nicht sachgerecht vorgegangen zu sein. Beide bestreiten das. Bundesumweltministerin Lemke stellt im 'Interview der Woche' noch einmal klar, dass sowohl sie als auch ihr Kabinettskollege keinerlei Bedenken gegen die Abschaltung der letzten drei AKWs unterdrückt haben.

Transparenz oder versteckte Informationen

Lemke dämpft hohe Erwartungen an den Ausschuss. Sie habe alle Fragen "transparent" beantwortet und sagt: "Die Fakten liegen auf dem Tisch." Die Grünen-Politikerin verweist darauf, dass der Atomausstieg im Jahr 2022 so intensiv politisch diskutiert wurde, dass es keine verdeckten Informationen "irgendwo noch auszugraben gibt". Die Ministerin glaubt, mit dem Untersuchungsausschuss "verhebt sich die Union ein Stück weit", dennoch sei die Einrichtung eines solchen Gremiums "das gute Recht der Opposition." Das stelle sie in keiner Weise in Abrede.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Korrespondent Dietrich Karl Mäurer stehen in der Halle im ARD-Hauptstadtstudio nebeneinander und lächeln in die Kamera
Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Korrespondent Dietrich Karl Mäurer im ARD-Hauptstadtstudio

Lemke will Diskussion über Rolle der Union in Atomdebatte

Die Umweltministerin will, dass der Untersuchungsausschuss ganz andere Aspekte rund um den Atomausstieg in den Blick nimmt, nämlich die Rolle von CDU und CSU bei der Atomdebatte in den Jahren 2010 und 2011. Damals hatte die Union den zuvor beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft zunächst zurückgenommen, aber nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima erneut beschlossen. Lemke fragt: "Was hat das eigentlich für Kosten verursacht?"

Entscheidungsprozess im Kontext des Ukraine-Kriegs

Die Ministerin erklärt im 'Interview der Woche', dass die Entscheidung über die Zukunft der Atomkraftwerke unter dem Eindruck des Angriffs Russlands auf die Ukraine gefällt wurde und wie dabei die Rollen verteilt waren. Demnach hatte das Wirtschaftsministerium energiepolitische Fragen abzuwägen. Ihr Haus war für die nukleare Sicherheit zuständig. Hier hätten die Kraftwerksbetreiber gesagt, ein Weiterbetrieb der Meiler sei nur mit Abstrichen bei der Sicherheit möglich. Schließlich habe man sich für die dreimonatige Laufzeitverlängerung entschieden.

Lemke: Deutschland sicherer ohne Atomkraft

Lemke betont, dass der Atomausstieg für Deutschland der richtige Weg gewesen sei. Er ermögliche den Übergang zu erneuerbaren Energien. "Ich bleibe bei meiner Auffassung, dass es sicherer für uns ist, dass Deutschland aus der Atomkraft ausgestiegen ist."

Unterschiedliches Wahlverhalten in Ost und West wegen Fehlern in Nachwendezeit

Die Politikerin, die aus Dessau in Sachsen-Anhalt stammt und einst die Grüne Partei der DDR mitgegründet hat, erklärt im 'Interview der Woche' auch, wo sie Ursachen für unterschiedliches Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland sieht. Sie betont, dass das Erstarken des Rechtsextremismus und Populismus nicht ein rein ostdeutsches Problem sei, sondern viele Länder betreffe "sogar weltweit". Gründe für Unterschiede bei den Wahlen zwischen den Regionen, insbesondere zwischen Ost und West, führt die Ministerin teilweise auf die massiven sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen nach der Wiedervereinigung zurück. Die friedliche Revolution und die anschließende deutsche Einheit hätten für viele Ostdeutsche durch die Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit in den 1990er Jahren gravierende Veränderungen und Unsicherheiten mit sich gebracht. Damals seien "viele Fehler" gemacht worden, resümiert Lemke. Dies hinterließ aus Sicht der Grünen-Politikerin Spuren im kollektiven Gedächtnis und führte zu einer erhöhten Skepsis gegenüber staatlichen Vorschriften und Maßnahmen. Die heftigen Corona-Proteste in einigen ostdeutschen Regionen seien ein Beispiel für diese anhaltenden Vorbehalte. Lemke hält es für eine große Herausforderung für alle demokratischen Kräfte, diese historischen und sozialen Hintergründe zu verstehen und darauf einzugehen.

Weiterführende Links:

https://www.ardaudiothek.de/sendung/kemferts-klima-podcast/93974926/

https://www.tagesschau.de/wissen/akw-rueckbau-101.html

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