2025. Wie lange brauchen Sie normalerweise, um sich an die neue Jahreszahl zu gewöhnen? Dass man sich beim Datumschreiben nicht mehr ständig vertut, ist das eine. Die allgemeine Fassungslosigkeit das andere.
Schon wieder ein ganzes Jahr rum? Wo das letzte doch gerade erst angefangen hatte? Wie viele Menschen ihrer Lebenszeit ungläubig beim Vorbeigaloppieren zusehen, ist längst in Studien belegt. Besonders anschaulich ist die vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie in Freiburg. Demnach wird mit dem Erwachsenwerden die Fahrt auf der Lebensautobahn gefühlt immer rasanter, 20, 30, “schon wieder ein Jahrzehnt rum?”, 40, 50, erst mit 60, 70 erreicht man ein Tableau. Puh.
Die Kolumne zum Wochenende können Sie sich hier auch anhören:
Die Erklärung: Kindheit und Jugend sind voller Premieren und Wechsel: Kita, Grundschule, weiterführende Schule; Fächer, Freunde, Vereine, immer wieder neu. Außerdem wollen Kinder ja oft, dass die Zeit schnell vergeht, während das mit dem Älterwerden später immer weniger dringlich erscheint.
Weniger markante Stellen im Strom der Zeit
Zudem ist das gesettelte Erwachsenenleben stärker von Routinen geprägt, die Wechsel ergeben sich nicht mehr automatisch. Wer will und kann, bleibt am gleichen Ort im gleichen Job unter gleichen Leuten. Also weniger markante Stellen im Strom der Zeit, der gefühlt immer schneller dahinfließt.
Klingt deprimierender als es ist: Unser Gehirn wäre heillos überfordert, sich lebenslang ständig neu entscheiden und orientieren zu müssen. Gerade in der so oft zitierten “komplexer werdenden Welt voller Krieg und Krisen” helfen Routinen, nicht bekloppt zu werden. Genau wie in der berühmten “Rush hour des Lebens”, wenn viele Aufgaben gleichzeitig anstehen.
Vom Bananenmatsch zum Mathe-Abi
Apropos - kommen eigene Kinder ins Spiel, vermischen sich die Effekte: Zwar sind die Premieren und Neuanfänge wieder da, aber anders als die Kinder warten die wenigsten Eltern ungeduldig auf deren Großwerden. Eher so: Wie kann dieser Mensch, der gefühlt gestern noch Bananenmatsch in die Tischplatte massiert hat, morgen Mathe-Abi schreiben? Und schon ist die Zeit wieder am Rennen, Abwechslung hin und her.
Tja, was tun mit diesem Dilemma? Routinen abschaffen scheint keine Option, der Zeit tatenlos beim Rasen zuschauen, irgendwie auch nicht. Vielleicht so: Die guten Routinen, die helfen, nicht bekloppt zu werden, lassen wir. Die schlechten, die helfen, erst recht bekloppt zu werden, lassen wir weg. Macht eine Extraportion Erinnerungsstoff fürs Gehirn und schon schaltet die gefühlte Zeit einen Gang runter.
Wie wäre es zum Beispiel, auf andere Meinungen mal mit Argumenten statt Hasstiraden zu reagieren? Für ganz schön viele Menschen wäre das ganz schön verrückt. Oder auf Koalitionsbrüche mit konstruktiver Selbstkritik? Für einige Politiker wäre das echt mal was anderes.
Erstaunliche Erfahrungen wagen
Vielleicht den Biomüll ohne Plastiktüte in die Tonne werfen? Eine nahezu abenteuerliche Neuerung! Und wie wäre es, mal Silvester zu feiern, ohne die Böller erst im Wohnzimmer und dann auf Rettungskräfte abzuschießen? Für erstaunlich viele wäre das eine bisher unbekannte und sicher unvergessliche Erfahrung.
Ja, es erfordert Mut, mit eingespielten Routinen zu brechen. Aber es bleiben ja noch mehr als 360 Tage bis zum nächsten Jahreswechsel, genug Zeit, sich mental darauf vorzubereiten. Obwohl - auch die werden schneller vergehen, als uns lieb ist.