Metzgerin Annette Kopf aus Lauffen am Neckar ist viel mit der Bürokratie beschäftigt.

Der ewige Kampf gegen "Brombeergestrüpp"

Bremst die Bürokratie die Wirtschaft aus?

Stand
Autor/in
Thomas Eberding
Thomas Eberding ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".
Onlinefassung
Markus Pfalzgraf

Unternehmen, Vereine und Verwaltungen in BW klagen über die Bürokratie. Tausende Gesetze und Verordnungen werden zur Bremse. Wie lässt sich Politik machen, ohne Berge an neuen Regelungen?

Zwischen Putenbrust und Entrecôte regt sich Annette Kopf auf. Die Inhaberin einer Metzgerei in Lauffen am Neckar (Kreis Heilbronn) muss alles dokumentieren. Beispielsweise regelmäßig die Temperatur an ihrem Kühlraum - obwohl sie ja selbst ein eigenes Interesse daran hat, dass die Kühlung ununterbrochen funktioniert, wie sie sagt. Denn sonst könnte sie ja ihre Fleischwaren nicht verkaufen. Falls doch einmal etwas ausfallen sollte, gibt es einen akustischen Alarm. Und wenn tatsächlich einmal etwas ist? "Dann ist das Erste, was ich mache, den Kältetechniker anrufen - und nicht aufschreiben, dass das Kühlhaus defekt ist", sagt die Metzgerin, "das ist doch totaler Nonsens!"

Die Vorschriften und Dokumentationspflichten in der Metzgerei sind nur ein Beispiel, welche Blüten die Bürokratie in Deutschland treibt. Auch Vereine, Bürger oder größere Betriebe in Baden-Württemberg - sogar die Verwaltung selbst - klagen über zu viele Regelungen.

Bürokratie: Regulierung statt Vertrauen?

Auch bei der Hygiene begegnet der Metzgerin viel Verwaltungsaufwand. Im Laden und in der Wurstküche wird regelmäßig geputzt. Kopf sagt, das sei für sie selbstverständlich. Doch wichtiger sei auch hier wohl die Dokumentation: "Nicht dokumentiert zählt als nicht gemacht. Also wenn ich nicht geputzt habe, aber aufschreibe, ich habe geputzt - dann ist das besser, als wenn ich putze und es nicht aufschreibe."

"Das ist ein Mangel an Vertrauen", bekräftigte Jan Stefan Roell in der Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg". Er selbst leitet die Firma ZwickRoell in Ulm. Das Unternehmen bietet Maschinen an, mit denen Produkte getestet werden. Und auch ihn beschäftigt der bürokratische Aufwand. So muss sein Unternehmen beispielsweise genau erfassen, wie viel Energie erzeugt und verbraucht wird. Roell findet das überflüssig. Schließlich sei ohnehin Energie sparen angesagt, allein schon wegen der Kosten: "Durch dieses Berichten sparen wir keine Energie ein, sondern wir sparen Energie ein, wenn wir unsere Prozesse angucken. Und das muss man uns doch zutrauen, dass wir das selbst machen."

Bürokratiewahnsinn wird zum Standortnachteil

Mit Blick auf das Beispiel aus Lauffen am Neckar sagte der frühere Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne): "Wenn man die Metzgerin Frau Kopf fragen würde, wer das eigentlich verbrochen hat, würde sie wahrscheinlich sagen: 'Ist mir egal, stellt es ab!'" Aus seiner Sicht würde es ausreichen, wenn eine Unternehmerin einmal im Jahr ein Formular unterschreiben würde, dass sie alle Regeln eingehalten habe.

"Das sind genau die Vorschläge, die wir brauchen", sagte Sandra Detzer in der Diskussion. Sie leitet als Grünen-Bundestagsabgeordnete den Wirtschaftsausschuss. Sie verwies aber auch auf Erfolge, beispielsweise bei der Energiewende, die schleppend begonnen hatte, aber durch zügigere Antragsverfahren beschleunigt werden konnte: "Es hat sieben Jahre gedauert, bis ein Windrad gebaut wird. Wir sind jetzt bei sieben Monaten."

Doch die Zahl von Vorschriften nehme zu, klagt Unternehmer Jan Stefan Roell, der auch der Industrie- und Handelskammer Ulm vorsitzt. Bürokratie werde so immer mehr zum Standortnachteil.

Kretschmann: Bürokratiedickicht gleicht Brombeerstrauch

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat das Bürokratie-Dickicht gelegentlich mit einem wuchernden Brombeerstrauch verglichen. Von seiner Koalitionspartnerin CDU bekam er deshalb symbolisch eine Heckenschere geschenkt.

Kretschmann hat nicht nur einen Normenkontrollrat eingerichtet, den es zusätzlich zum ähnlichen Beirat auf Bundesebene gibt. Unter Leitung von Dieter Salomon soll dieser die Landesregierung zum Bürokratieabbau beraten. Zusätzlich gibt es in Baden-Württemberg eine "Entlastungsallianz", die 120 Vorschläge zum Bürokratieabbau erarbeitet hat.

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Kein großer Wurf gegen Bürokratie?

"Es ist nicht der große Wurf", sagte Salomon in der Sendung. Schließlich könne man eine Hecke nicht einfach "abfackeln", sondern müsse eben mit der Schere arbeiten. Vergabeverfahren des Landes seien zwar deutlich entschlackt worden, indem in der Wirtschaft Aufträge bis zu einem Volumen von 100.000 Euro ohne Ausschreibung vergeben werden können. Aber das sei eben nur eine Maßnahme von vielen weiteren, die nötig seien.

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