Angesichts der überbordenden Bürokratie verbunden mit dem Fachkräftemangel wird Deutschland nach Worten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) nicht länger in dieser Form regierbar sein. "Wir sind in den Kommunen, im Land und im Bund an einem Scheideweg, weil wir das Personal gar nicht mehr haben werden, so filigrane Regulierung überhaupt zu administrieren", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. "Wir werden so nicht mehr regieren können."
Immer mehr Regulierung aufgebaut
Der Kampf gegen die zunehmende Bürokratie sei eines der ganz großen Probleme der Politik, sagte Kretschmann. "Wir sind zu langsam und die Welt wartet nicht auf Deutschland - darum müssen wir das jetzt ändern." Man habe in 70 Jahren immer mehr Regulierung aufgebaut. Egal ob Koch, Politiker oder Unirektor - die Menschen müssten sich immer mehr mit bürokratischen Dingen befassen statt mit den Dingen, die sie gelernt hätten - das führe zu Frustration.
Das Gebot der Stunde sei es, die Verwaltung zu modernisieren und zu digitalisieren. Die Genehmigungszeiten für Windparks habe man bereits halbiert, sagte Kretschmann. Nach einer neuen Umfrage im Auftrag der baden-württembergischen Zeitungsverlage attestieren jedoch nur vier Prozent aller Befragten der grün-schwarzen Landesregierung Fortschritte im Kampf gegen die Bürokratie. Der Regierungschef sprach von "Riesenbrettern, die da gebohrt werden müssen".
Landesregierung will Bürokratie abbauen Was tun gegen Berge von Akten? Diese Wege geht BW
Mit einer Entlastungsallianz will die Landesregierung mit Kommunen und Verbänden Bürokratie abbauen. Doch wo ein Wille ist, ist noch nicht unbedingt der richtige Weg gefunden.
Weniger Vorschriften und mehr Spielraum nötig
Er forderte für Wirtschaft und Gesellschaft weniger Vorschriften und mehr Verantwortung und Spielraum. "Wir brauchen mehr Vertrauen in die Marktkräfte, in die Bürgergesellschaft, in die Entscheidungskraft und das Verantwortungsbewusstsein von Einzelnen wie Bürgermeistern, Schulleitern oder Unternehmern. Es muss ein Mentalitätswandel stattfinden - hin zum mutigen Nutzen von Spielräumen, weg von der ängstlichen Fehlervermeidungskultur."
FDP: Kretschmann soll endlich handeln
Baden-Württembergs FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke erklärte dazu, Kretschmann selbst solle endlich handeln und die Vorschläge des Normenkontrollrats (NKR) umsetzen. Die lägen seit langem auf dem Tisch. "Stattdessen wird der NKR aufgelöst, seine Vorschläge in die Schublade gelegt und eine neue Allianz gegründet. Diese schlägt wieder das Gleiche vor, und die Vorschläge verschwinden wieder in der Schublade", so Rülke. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Bürokratieabbau der FDP-Fraktion, Erik Schweickert, ergänzte: "Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem."
Landesregierung, Kommunen und Wirtschaftsverbände hatten sich erst vor kurzem auf eine Allianz zum Bürokratieabbau geeinigt und auf Eckpunkte zur Entschlackung von Vorschriften und Regulierung. Ministerien sollen Vorschläge dazu erarbeiten, wo bürokratische Hürden abgebaut werden sollen.