Baugenossenschaften in der Krise

Traum vom gemeinsamen Wohnen platzt in BW immer häufiger

Stand
Autor/in
Hannes Köhle
Hannes Köhle ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".
Onlinefassung
Matthias Breitinger

Die Baukrise trifft Wohnbaugenossenschaften in BW hart. Sie haben es gerade besonders schwer, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Beispiel eines gescheiterten Projekts in Tübingen.

Gestiegene Baukosten, höhere Zinsen, hohe Klimastandards für Bauprojekte und weggefallene Förderungen: Wohnbaugenossenschaften in Baden-Württemberg stehen bei ihren Projekten im Moment vor großen Herausforderungen. Viele neue Projekte sind laut dem Verbund der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland e.V. verschoben oder sogar abgebrochen.

Projekt einer Alters-WG in Tübingen gescheitert

Dass ein Projekt nicht klappt, haben Brigitte Sahm und Bernd-Ulrich Jung schon erlebt. Die beiden stehen vor einer Baustelle am "Hechinger Eck" in Tübingen. Bauarbeiter beginnen die Betonschalung für das dritte Stockwerk vorzubereiten. Große Kräne schwingen über das Areal. Ihr Traum, hier einzuziehen ist vor zwei Jahren geplatzt.

Beide sind befreundet, bereits in Rente und hatten mit 18 anderen den Plan, eine Alters-Wohngemeinschaft zu gründen. "Wir hatten Arbeit, Zeit und Herzblut reingesteckt und waren überzeugt von unserem Projekt", sagt Brigitte Sahm. Die Idee: In der WG altersgerecht wohnen, immer mit der Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen und als Pflegefall nicht in ein Heim zu müssen. "Es ist ein gescheitertes Projekt von einer innovativen Wohnform", sagt Bernd-Ulrich Jung.

Brigitte Sahm und Bernd-Ulrich Jung planen eine Senioren-WG in Tübingen.
Brigitte Sahm und Bernd-Ulrich Jung planen eine Senioren-WG in Tübingen.

Keine Fördermittel für Gemeinschaftsräume

2015 starten sie mit einer ersten Idee. Vor zwei Jahren tauchen dann Schwierigkeiten auf. Die Baukosten steigen und ihr Projekt wird immer unrentabler. Damals haben sie die Hoffnung, dass die Politik sie unterstützen kann. Das Problem: Damals gibt es nur Fördergelder für Privaträume. Die für eine WG wichtigen Gemeinschaftsräume werden nicht gefördert. Zusätzlich gibt es weitere Vorgaben, die sie finanzieren müssen. "Das hat uns dazu gebracht, zu sagen: Das hat mit unserer Vorstellung von bezahlbarem Wohnraum nichts mehr zu tun", sagt Brigitte Sahm. Sie mussten ihre Option im Bauprojekt dann wieder zurückgeben.

Neues Förderprogramm für Wohngemeinschaften seit 2024

Ein Sprecher des baden-württembergischen Wohnbauministeriums verweist auf die "Förderlinie Neues Wohnen", die es seit diesem Jahr gibt. "Wenn es gut läuft, werden wir dieses Jahr drei Projekte fördern können, da geht es um Wohngemeinschaften und auch um die Förderung von Gemeinschaftsräumen", so der Sprecher. Ziel sei es, das Programm dauerhaft zu erhalten. Zudem sei sich das Ministerium der schwierigen Lage bewusst, doch die Mittel seien begrenzt.

Eine andere wichtige Förderung vom Bund ist laut Verbund der Wohnungsgenossenschaften Deutschland dagegen Ende vergangenen Jahres weggebrochen. Das habe die Lage der Genossenschaften, die bezahlbaren Wohnraum schaffen möchten, nun nochmal verschärft. Vor allem die Zinsen haben sich vervierfacht, die Baukosten sind stark gestiegen.

Stimmung bei Genossenschaften eingetrübt

"Die Stimmung hat sich deutlich eingetrübt. Projekte wurden geschoben oder gar abgebrochen und wir müssen mit den neuen Rahmenbedingungen erstmal lernen umzugehen", sagt Bernd Weiler vom Verbund Baden-Württemberg der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland.

Ein Punkt seien die Vorgaben der Politik, Wohnungen bis 2040 klimaneutral umzubauen. Das sei für Genossenschaften so nicht zu schaffen. Hinzu komme, dass neugegründete Genossenschaften es gerade schwer haben. Sie bräuchten viel Eigenkapital, um ein Projekt zu starten.

Bernd Weiler vom Verbund Baden-Württemberg der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland
Bernd Weiler vom Verbund Baden-Württemberg der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland

Tübinger wollen ihr Projekt neu beleben

In Tübingen wollen Brigitte Sahm und Bernd-Ulrich Jung nicht aufgeben. Sie haben sich nun einer neuen Genossenschaft angeschlossen, der Name: Neustart. Die Genossenschaft möchte am Rand des Französischen Viertels ein neues Quartier bauen und bezahlbaren Wohnraum für 500 Menschen schaffen. Das Projekt ist dementsprechend groß und kostet rund 70 Millionen Euro.

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Neben der Verdopplung der Baukosten und den gestiegenen Zinsen erzählen die Verantwortlichen von einer weiteren Unsicherheit. "Wir wissen zum Beispiel noch nicht mal, ob zu dem Zeitpunkt, an dem wir gerne Förderung beantragen würden, im Topf für sozialen Wohnungsbau überhaupt noch Fördergeld ist", sagt Andreas Roth, Projektkoordinator von Neustart. "Für dieses Projekt wäre es fatal, wenn zugesagte Gelder nicht kommen würden", sagt Johanna Neuffer, Vorstand von Neustart. Generell wünschen sie sich von der Politik mehr Unterstützung.

Noch ist das Quartier ein Parkplatz. Laut den Plänen könnte die Senioren-WG in vier Jahren dort einziehen. Brigitte Sahm und Bernd-Ulrich Jung sind optimistisch. "Ich bin voll dabei und hoffe, dass die Idee von gemeinsamem Wohnen im Alter und solidarischer Pflege doch am Ende dabei rauskommt. Aber sicher ist es nicht“, sagt Bernd-Ulrich Jung.

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