400.000 neue Wohnungen, davon 100.000 sozial gefördert, sollen jährlich bundesweit gebaut werden. Das war und ist das große Ziel der Bundesregierung. Gleichzeitig erreichte die Zahl der gestoppten Bauprojekte mit 22,2 Prozent im Oktober 2023 einen neuen Höchststand, so das Leibnitz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (ifo-Institut).
Nach Schätzungen des Branchenverbandes der Bauwirtschaft fehlen allein in Baden-Württemberg rund 70.000 Sozialwohnungen. Längst sind nicht nur große Städte wie Stuttgart oder Freiburg davon betroffen, auch in kleineren Kommunen fehlt es an bezahlbarem und sozial gefördertem Wohnraum. Einige Beispiele:
Rottweil stoppt Bauvorhaben im Neubaugebiet "Spitalhöhe"
50 Wohneinheiten, die Hälfte davon sozial geförderter Wohnraum: Das war Rottweils Vision für das entstehende Neubaugebiet "Spitalhöhe". Zwischen rund 100 geplanten Einfamilienhäusern sollten nach einem Gemeinderatsbeschluss auch etwa 90 sozial geförderte Wohnungen entstehen. Doch nun hat die Stadtbau GmbH Rottweil den Bau eines Teils der geplanten Wohnungen erstmal auf Eis gelegt - davon betroffen auch 25 Sozialwohnungen.
SWR Aktuell Baden-Württemberg berichtete am 12.12.23 über das Thema:
Baukosten haben sich fast verdoppelt
Dass die Pläne der Stadt erstmal wieder in der Schublade verschwunden sind, hat vor allem mit den zunehmenden Kosten zu tun: teure Baumaterialien, gestiegene Bauzinsen und, nicht zu vergessen, ausgeschöpfte Förderprogramme sowie die von der Regierung geforderten Standards für neu gebauten Wohnraum. Während für das Bauprojekt anfangs rund sechs Millionen Euro eingeplant waren, soll es nun etwa zehn Millionen Euro kosten, so Rottweils Oberbürgermeister Christian Ruf (CDU). "Die Kosten sind so stark gestiegen, dass sich das Vorhaben nicht mal mehr ansatzweise mit einer schwarzen Null realisieren lässt", so Ruf.
Mietervereine schlagen Alarm
Guido Speiser vom Mieterverein Rottweil weiß um den Bedarf und die Wartelisten für bezahlbaren und sozial geförderten Wohnraum, selbst in einer kleineren Stadt wie Rottweil mit nur rund 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. "Es führt dazu, dass Menschen mit geringem Einkommen sich im Umland Wohnraum suchen müssen und dann weitere Anfahrtswege in Kaufen nehmen müssen. Das führt durch die Hintertür auch wieder zu höheren Kosten", so Speiser. Er fordert die Landes- und Bundespolitik auf, die Fördertöpfe für den Bau von bezahlbarem Wohnraum so zu füllen, dass die Kommunen damit arbeiten können. Doch auch die Kommunalpolitik sei gefragt, dem Bau von bezahlbaren Wohnraum einen höheren Stellenwert beizumessen.
Probleme auch in Schramberg und Villingen-Schwenningen
Doch nicht nur in Rottweil verschwinden Pläne zum Wohnungsbau in der Schublade. Auch in Schramberg (Landkreis Rottweil) hatte man bereits gemeinsam mit einem Investor an einer Idee für das alte Krankenhausgelände gearbeitet. Neben einem Hotel sollten dort auch 83 neue Wohnungen entstehen, einige davon als sozial geförderter Wohnraum, so Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr (parteilos). Aufgrund der aktuellen Konditionen am Baumarkt ist auch hier der Investor letztlich zurückgetreten. Wie es mit dem alten Krankenhaus in Schramberg weitergeht und welche Alternativen es geben könnte, soll nun kommende Woche im Gemeinderat besprochen werden.
Die Suche nach einem Investor - ein Problem, mit dem sich ebenso die Stadt Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) auseinandersetzen muss. Auf dem ehemaligen Kasernengelände "Oberer Brühl" im Stadtbezirk Villingen sollte ein neues Quartier mit Begegnungsräumen und insgesamt 680 Wohnungen entstehen - rund 250 davon als sozial geförderter Wohnraum. Bei der ersten europaweiten Ausschreibung konnte jedoch kein Investor für das Bauprojekt gefunden werden. Oberbürgermeister Jürgen Roth (CDU) erwartet, dass die Ausschreibung des überarbeiteten Vergabeverfahrens für das erste der vier Baufelder im Februar 2024 abgeschlossen sein wird. Insgesamt 56 Millionen Euro sollen auf dem Gebiet bis 2028 investiert werden.
Baubranche leidet unter akutem Auftragsmangel
Bereits 48,7 Prozent der Betriebe berichteten im Oktober über Auftragsmangel, so eine Umfrage des ifo-Instituts. Im Oktober letzten Jahres lag der Anteil noch bei 18,7 Prozent. "Fast jeder zweite Betrieb im Wohnungsbau leidet mittlerweile unter Auftragsmangel und es werden jeden Monat mehr. Für einige wird die Situation bedrohlich, jedes zehnte Unternehmen meldete bereits Finanzierungsschwierigkeiten, so Klaus Wohlrabe, Leiter des ifo-Instituts.
Die Stornierungswelle im Wohnungsbau reißt nicht ab. "Es wird immer schlimmer, mehr und mehr Projekte scheitern am gestiegenen Zinsniveau und den teuren Baupreisen", so Wohlrabe. Gestiegene Rohstoffpreise, steigende Zinsen und fehlende Liquidität werden als Gründe genannt. Doch es braucht Lösungen, um die Arbeitsplätze von zirka 2,5 Millionen Beschäftigten im Bau- und Immobiliensektor zu sichern.
Sozialer Wohnungsbau "unter Schmerzen" in Lörrach
Die Bauarbeiten für das neue Quartier "Neue Mitte Nordstadt" in Lörrach gehen derweil weiter, denn nicht zu bauen, hätte aufgrund der bereits gemacht Investitionen einen deutlich höheren Schaden angerichtet, so Thomas Nostadt von der Wohnbau Lörrach. Insgesamt 248 Haushalte sollen in dem neuen Quartier mit eigenem Supermarkt, Cafés, Geschäften und Arztpraxen einmal unterkommen.
95 Prozent des Wohnraums sind gemeinwohlorientiert, etwa 160 Einheiten sozial gefördert und mit Berechtigungsschein bewohnbar. Die Kalkulation der Baukosten für dieses Projekt war bereits in die Zeit gestiegener Kosten gefallen. Dennoch baue man in Lörrach aktuell "unter Schmerzen", so Nostadt. Denn was künftige Bauprojekte angehe, stehe man deswegen aktuell auf der Bremse. Dabei hatte man ursprünglich geplant, mehrerer solcher Quartiere zu bauen. "Die eigentliche Lücke im Bereich des bezahlbaren Wohnraums wird also erst noch kommen", warnt Nostadt.
Rückgang der Bauanträge in Offenburg
Auch bei der Stadt Offenburg werden bereits genehmigte und begonnene Bauvorhaben zunächst fortgesetzt. "In Offenburg wurden keine Projekte des sozialen Wohnungsbaus storniert oder aufgeschoben", bestätigt Michael Müller von der Stadtbau Offenburg. Darunter ein Bau der Offenburger Baugenossenschaft in bahnhofsnähe mit 26 Wohneinheiten, von denen zehn als sozial geförderter Wohnraum an Menschen mit Berechtigungsschein vergeben werden sollen. Grundsätzlich sei jedoch auch hier eine Zurückhaltung im Wohnungsbau deutlich spürbar, was sich auch an der zurückgehenden Anzahl an Bauanträgen, vor allem für Mehrfamilienhäuser im Jahr 2023 zeige, so Sandra Müller von der Stadt Offenburg.
Wie sozial wird Freiburgs "Wohnbauoffensive"?
Mit der "größten Wohnbauoffensive in der Geschichte der Stadt" sollen bis zum Jahr 2030 insgesamt 2.500 attraktive und bezahlbare Wohnungen gebaut werden, wirbt die Stadt Freiburg. Der neue Stadtteil Dietenbach gilt als größtes Städtebauprojekt in Deutschland. Einmal fertig gebaut soll er Wohnraum für um die 16.000 bis 20.000 Menschen bieten. Rund 7.000 Wohneinheiten sollen im Stadtteil Dietenbach entstehen, 50 Prozent davon im Bereich sozial geförderter Wohnungsbau. Ein hehres Ziel. Inwieweit das weiterhin realisierbar ist, wird sich zeigen. Bereits im Mai dieses Jahres mussten die Kosten für den neuen Stadtteil um 400 Millionen Euro auf rund 1,3 Milliarden Euro angehoben werden. Im Juni 2023 hatte außerdem die Sparkasse bekannt gegeben, dass sie angesichts der explodierenden Bauzinsen von der geplanten Grundstücksvermarktung zurücktrete.
Rund 750 Millionen Euro werde in den nächsten zehn Jahren in Freiburg in Wohnraum investiert, der dann dauerhaft in städtischer Hand bleibe. Denn der Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Freiburg sei sozial absolut unfair und standortschädigend, so Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos). Bei sozialem Wohnraum hätten viele Langzeitarbeitslose und sozial benachteiligte Menschen im Kopf, dabei habe selbst eine vierköpfige Familie, die über 6.000 Euro verdiene Anspruch auf sozial geförderten Wohnraum, so Horn. Im neuen Stadtteil Dientenbach haben die ersten Arbeiten auf dem Gelände bereits begonnen. Bis das größte städtische Wohnbauprojekt in Deutschland fertig ist, dauert es allerdings noch 20 Jahre.
Neues Quartier "Kleineschholz" in den Startlöchern
Zu einer früheren Entlastung am angespannten Freiburger Wohnungsmarkt soll auch das neue Quartier "Kleineschholz" zwischen den Stadtteilen Stühlinger und Betzenhausen beitragen. Die insgesamt 500 Wohneinheiten sollen, wenn es nach der Stadt geht, ausschließlich durch durch gemeinwohlorientierte Bauträger verwirklicht werden. Mindestens 250 Einheiten sollen sozial geförderter Wohnraum sein - also ein Drittel günstiger als die ortsüblichen Vergleichsmieten. OB Martin Horn warnt davor, geplante Bauprojekte jetzt aufgrund der gestiegenen Kosten zu stoppen.
Horn würde sich mehr Mut auf allen Ebenen wünschen; ein Appell, der auch an die Landes- und Bundesregierung gerichtet ist, die dringend benötigten Fördertöpfe für sozialen Wohnungsbau aufzufüllen. "In unserer Gesellschaft kippt etwas, wenn Menschen keine Wohnungen mehr finden, schon gar keine bezahlbaren mehr", mahnt Horn. Die Stadt Freiburg habe Mut bewiesen, findet der OB, denn man habe weitere sechs Millionen Euro in die Hand genommen, um das Gelände für das Quartier Kleineschholz zu erschließen. Noch im Dezember soll der erster Spatenstich gesetzt werden.