Kriminalität verlagert sich zunehmend aus dem privaten Umfeld der Täter in den öffentlichen Raum. Das jedenfalls registrierte die Staatsanwaltschaft Ulm. Mehr Straftaten auf der Straße bedeutet: Die Gefahr, zufällig Opfer eines Delikts zu werden, ist größer geworden.
Ulm, 4. April im vergangenen Jahr: Ein Mann schlägt an der "kleinen Blau" hinter dem Hauptbahnhof einem 17-Jährigen mit einer Glasflasche ins Gesicht. Der 17-Jährige geht bewusstlos zu Boden. Als sich ein gleichaltriger Freund des Angegriffenen einmischt, wird auch er Opfer des Angreifers: Der Täter sticht dem Helfer mit dem abgebrochenen Flaschenhals in den Hals. Der junge Mann erleidet einen Schlaganfall, schwebt tagelang in Lebensgefahr. Er überlebt, trägt aber schwere Gehirnschädigungen davon. Er kann nicht mehr richtig sprechen und ist linksseitig gelähmt.
Spurensuche am Tatort Angriff in Ulm: Jugendlicher in Lebensgefahr
Ein 17-jähriger Jugendlicher schwebt nach einem Angriff in Ulm in Lebensgefahr. Ein noch unbekannter Täter soll ihn laut Polizei am Dienstagabend mit einer Flasche verletzt haben.
"Der 17-Jährige zeigte Zivilcourage", so Michael Bischofberger, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Ulm bei der Jahrespressekonferenz seiner Behörde. Das Opfer gerät zufällig in die Situation - und trägt lebenslange Folgen davon. Die Tendenz, dass die Zahl der Zufallsopfer steigt, betrachtet der Behördenleiter, Christof Lehr, "mit großer Sorge".
Der Fall steht auch noch für eine andere bedenkliche Entwicklung. Die Zahl der Messerangriffe und der Angriffe mit abgebrochenen Flaschen ist gestiegen, sagt Lehr.
In Ulm hat sich der Bereich um den Hauptbahnhof als Kriminalitätsschwerpunkt entwickelt. Auffällig dabei: Die Täter reisen häufig von außerhalb nach Ulm, verkaufen im Umfeld des Bahnhofs etwa Drogen, begehen weitere Straftaten und reisen dann wieder ab.
Hoher Ausländeranteil bei Straftaten sorgt die Staatsanwaltschaft Ulm
Das Jahr 2023 war in mehrfacher Hinsicht auffällig für die Staatsanwaltschaft: Der Anteil von Ausländern an den Straftaten sei "sehr hoch", so Lehr: "Wir können das feststellen, aber nicht bewerten". Die Statistik zeigt auch, dass die Fälle illegaler Einwanderung in den Jahren 2022 und 2023 deutlich zugenommen haben. 828 Fälle hat die Staatsanwaltschaft im Jahr 2023 registriert. Zwei Jahre zuvor waren es weniger als die Hälfte, nämlich 401 Fälle. Dabei spiele der Ukrainekrieg keine Rolle, denn Ukrainer reisen ja legal ein.
Experten warnen vor Überinterpretation Deutlich mehr Straftaten in BW registriert - Strobl: "Ein sehr sicheres Land"
Laut Kriminalitätsstatistik wurden 2023 in Baden-Württemberg fast 600.000 Straftaten registriert. Innenminister Strobl hält BW dennoch weiterhin für eines der sichersten Länder.
Staatsanwaltschaft: Viele Straftaten von "psychisch auffälligen Tätern"
In der 13-seitigen Auflistung der "besonderen Fälle" des Jahres 2023 und Anfang 2024 springt die Zahl der Taten von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen ins Auge. Etwa der Fall vom 10. April, als ein 40-jähriger Mann, der an einer schizophrenen Psychose leidet, in Ulm-Wiblingen im Wahn seine 7-jährige Tochter tötet. In einem anderen Fall war ein 44-Jähriger aus Staig im Alb-Donau-Kreis überzeugt, dass "seine Mutter vom Teufel besessen sei". Durch massive Schläge gegen den Kopf wollte er sie "aufwecken".
Auch die Geiselnahme in einem Café neben dem Ulmer Münster geht möglicherweise auf eine psychische Ausnahmesituation des mutmaßlichen Täters zurück, die Ermittlungen dauern jedoch noch an. Der Fall einer 38-jährigen Mutter, die in Langenau ihr Baby Neugeborenes in einen Altglascontainer abgelegt haben soll, deutet ebenso auf eine psychische Extremsituation hin. Ein psychiatrisches Gutachten soll zur Klärung beitragen.
"Es ist ein Jahr, wo einfach zu viel passiert ist", so blickt Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger auf 2023 zurück. Auch wenn die Zahl der Straftaten um fünf Prozent gestiegen ist, auch wenn die Häufigkeitszahl der Fälle in der Großstadt Ulm mit fast 8.000 Delikten auf 100.000 Einwohner viel höher ist als im ländlichen Raum, zieht der Leiter der Staatsanwaltschaft, Christof Lehr, einen interessanten Vergleich: In Frankfurt liegt die Häufigkeitszahl viel höher, nämlich bei 22.000. Daran gemessen sei Ulm immer noch "ein sicherer Hafen", so Lehr.