Vom Wintersport ist auf der Schwäbischen Alb nicht mehr viel übrig. Die einst zahlreichen Skischanzen sind fast alle verschwunden. Dabei waren die Skisprungwettbewerbe vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren legendäre Spektakel, die wahre Massen anlockten.
Sie ist längst marode, aber sie steht noch: Die Herwartschanze in Königsbronn im Kreis Heidenheim mit ihrer Stahlkonstruktion aus dem Jahr 1967. Die Bretter sind so morsch, dass ein Hinaufklettern lebensgefährlich wäre. Sie gibt Zeugnis einer grandiosen lokalen Sportgeschichte. Bis Anfang der Achtzigerjahre trafen sich hier einmal jährlich die Skisprung-Nationalmannschaften aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, um sich beim legendären Königsbronner Nachtspringen zu messen. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Tausende Zuschauer kamen von außerhalb.
Skispringer Thomas Prosser: Es war eine schöne Zeit
Thomas Prosser hat hier 1977 den Schanzenrekord über 55 Meter aufgestellt. Heute lebt der 63-Jährige im nahegelgenen Neresheim (Ostalbkreis). Damals ging der junge Prosser als Lokalmatador an den Start für den benachbarten TV Oberkochen und gewann gegen die roten Adler aus Oberkochen. Er erinnert sich noch an seine weiten Sprünge in Königsbronn: "Das sind Situationen, in denen man merkt, dass es weit geht, und man sich überlegen muss: Wann mach ich auf, damit es nicht zu weit geht und ich den Sprung noch stehen kann?" Der große Beifall des Publikums habe ihn zusätzlich motiviert. "Es war eine schöne Zeit", blickt er zurück.
Thomas Prosser, der Bursche von der Ostalb, hat es überhaupt im Skispringen weit gebracht. Schon als Jugendlicher wurde er im Skiinternat in Berchtesgaden aufgenommen, kam später in die deutsche Nationalmannschaft, nahm an der Weltmeisterschaft 1982 in der norwegischen Hauptstadt Oslo teil.
Sein größter Erfolg war ein dritter Platz bei der Vierschanzentournee 1981 in Oberstdorf. Sein weitester Flug ging über 139 Meter im tschechischen Harrachov.
Aber die Springen in Königsbronn, in der eigenen Heimat, waren für ihn immer etwas Besonderes. "Hier gab es damals schon eine Flutlichtanlage. Die Springen bei Nacht hatten eine ganz eigene Atmosphäre." Typisch für Königsbronn war auch, dass man oft hoch hinaus gesprungen und am Ende eher "runtergefallen" sei als in flachem Winkel gelandet.
Bis 73 Meter auf der Ostalbschanze in Unterkochen
Auch ein paar Kilometer weiter in Aalen-Unterkochen (Ostalbkreis) wurde gesprungen, sogar bis zu 73 Meter weit. Ein Hinweisschild im Wald und die Betonreste des alten Schanzentischs erinnern noch an die Ostalbschanze, die schon kurz nach dem Krieg gebaut wurde.
Hilfe bekam der Schneelaufverein Unterkochen damals von amerikanischen Soldaten, die mit Tatkraft und Maschinen mit anpackten. Vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren fanden hier zahlreiche Landes- und Bezirksmeisterschaften statt. Alte Filme von den Skispringen finden sich noch im Aalener Stadtarchiv.
Eine von insgesamt einst 95 Skischanzen in Baden-Württemberg stand im Kleinen Lautertal bei Blaustein-Herrlingen im Alb-Donau-Kreis. Die heute 81-jährige Mechtild Laur hat Kindheitserinnerungen daran. Sie habe Anfang der Fünfzigerjahre zusammen mit anderen Kindern auf kurzen Skiern den Aufsprunghügel an der Schanze platt getreten, sagt sie. Und sie erinnert sich gut daran, wie damals in das kleine Dorf die Massen kamen und an ihrem Haus vorbeizogen. Aus Ulm reisten bis zu 8.000 Menschen mit Sonderzügen zum Skisprungspektakel an.
In Herrlingen landete so mancher Springer im Fluss
Der Auslauf an der Lautertalschanze war sehr kurz. Viele Burschen aus der Region sprangen ohne großes Training mit, konnten nicht mehr bremsen. Da landete so mancher - zur allgemeinen Belustigung des Publikums - in der Lauter.
Aber es nahmen stets auch Springer aus ganz Süddeutschland teil. Besonders mitgefiebert habe man immer mit einem jungen Kerl aus dem Nachbardorf Arnegg, erzählt Mechtild Laur. "Der ist nicht so gut gesprungen. Aber dem haben wir trotzdem immer zugejubelt, weil er mitgemacht hat und sich das getraut hat." Der Schanzenrekord in Herrlingen lag bei 54 Metern - "ganz schön weit für so eine kleine Schanze."
Manchmal habe es wenig Schnee gegeben. "Da hat man mit dem Milchauto Schnee von der Alb geholt", berichtet Laur, die als ehemalige Vorsitzende des TSV Herrlingen alte Bilder, Berichte und Dokumente gesammelt hat. Auch gab es eine Zeit lang eine Dreischanzentournee mit Springen in Herrlingen, Laichingen und Bad Urach.
1969 wurde die Schanze in Herrlingen abgerissen nach mehreren schneearmen Wintern. Auf der Schwäbischen Alb kam eher der alpine Skilauf in Mode. Das Fernsehen hielt Einzug. Die Menschen hatten neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Und in den Dörfern der Alb spürten weniger junge Burschen den Drang, ihren Mut beim Skispringen zu beweisen.
Während auch noch die Zahl der Helfer zurückging, entwickelte sich der Trend zu eher professionellen Skispringveranstaltungen auf Großschanzen in den Alpen, wo die Weiten bereits elektronisch gemessen wurden. Eine nennenswerte Zukunft hat das Skispringen auf der Schwäbischen Alb nicht mehr - höchstens noch für Kinder und Jugendliche auf ein paar Mattenschanzen im Sommer.