Menschen - vor allem Männer - mit pädophilen Neigungen können in Ulm seit zehn Jahren Hilfe in Anspruch nehmen. Betroffene wie Michael, der eigentlich anders heißt, können sich hier melden, bevor sie einem Kind Schaden zufügen.
Betroffener: "Möchte weder mich noch andere schädigen"
Michael weiß seit seiner Jugend von seiner Pädophilie. "Ich bemerkte mein Verlangen, indem ich öffentliche Plätze wie Bäder oder ähnliches besuchte. Was mir selbst nicht gut tat." Anfangs habe er sich Missbrauchsdarstellungen im Internet, sogenannte Kinder- und Jugendpornografie, angesehen. Damit habe er schnell wieder aufgehört, aber die Neigung sei geblieben.
Seine Pädophilie hält Michael lange geheim. Er weiß, dass er ihr nicht nachgeben darf, sucht Hilfe bei Psychotherapeuten. Doch die sind mit seinem Problem überfordert, glaubt er. Michael ist verzweifelt, kämpft mit Depressionen. Als er sich vor vier Jahren stark zu einem Kind hingezogen fühlt, wird ihm klar, dass er mit seiner Neigung nicht allein umgehen kann. Er ist sich sicher: "Ich möchte weder mich noch andere verletzen oder schädigen."
Präventionsprojekt bietet vertrauliche Hilfe
Michael meldet sich bei "Kein Täter werden", bekommt vertrauliche Hilfe. Die Anlaufstelle für pädophile Menschen ist 2005 an der Berliner Charité entstanden. Bundesweit gibt es 14 Standorte, einer davon ist in Ulm.
In Ulm wird das Projekt vom Universitätsklinikum getragen und in Baden-Württemberg von den Krankenkassen und vom Sozialministerium finanziert. Ziel des von der Berliner Charité koordinierten Projekts sei es, sexuelle Gewalt an Kindern sowie den Konsum von kinderpornografischen Darstellungen bereits im Vorfeld zu verhindern, heißt es dazu.
Mit Therapie gegen pädophile Neigungen
Erst Einzel-, dann Gruppentherapie soll Betroffenen helfen, mit ihrer Pädophilie umzugehen und sich selbst und Kinder zu schützen. Durch die Beratung Betroffener sollen sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindert werden. Seit der Eröffnung des Ulmer Standorts vor zehn Jahren haben sich laut Projektleitung rund 300 Menschen gemeldet. An die 80 haben das Therapie-Angebot genutzt, nur von zweien sei bekannt, dass sie später straffällig wurden.
Pädophile Neigung nicht gleich Kindesmissbrauch
Geleitet wird die Präventionsstelle in Ulm von Elisabeth Quendler-Adamo. Menschen mit pädophiler Neigung, so ihre Überzeugung, sind nicht gleichzusetzen mit Menschen, die Kinder missbrauchen: "Das sind Menschen, die das Recht haben, Hilfe zu bekommen. Dass sie einen Raum kriegen, wo sie mitteilen können, wie es ihnen geht. Und gleichzeitig Unterstützung, um keine Taten zu begehen."
Kein Täter werden: Schweigen als größte Gefahr
Die größte Gefahr, so die Expertin, bestehe dann, wenn pädophile Menschen nicht über ihre Neigung sprechen. Auf diese Weise würden sie, wie Hans seinerzeit, in einer sozialen Isolation mit einem emotional belastenden Thema verbleiben. Ein unnötiges Risiko, stellt Quendler-Adamo klar: "Das führt oft zu Anspannung und Anspannung wird in vielen Fällen mit einer sexuellen Aktivität bearbeitet."
Forderung: Mehr Präventions-Angebote auch auf dem Land
Michael wünscht sich, dass er mit seiner Neigung in Zufriedenheit leben kann, ohne sich selbst und anderen zu schaden. Aktuell habe er das sehr gut im Griff, sagt er. Damit mehr Menschen, denen es wie Michael geht, Hilfe in Anspruch nehmen können, brauche es mehr Präventions-Angebote, auch im ländlichen Raum, fordert Elisabeth Quendler-Adamo. Außerdem müssten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten geschult werden, um für pädophile Menschen ansprechbar zu sein.