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Pädophilie – Erkennen, therapieren, unterdrücken

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Autor/in
Marcus Schwandner
Marcus Schwandner
Onlinefassung
Candy Sauer

Pädophile Menschen werden durch Kinder sexuell erregt und nicht durch Erwachsene. Nicht jeder kann sich das eingestehen. Besonders schwierig ist diese Erkenntnis für Jugendliche, die ihre sexuelle Identität gerade entwickeln.

Fachleute schätzen, dass etwa 250.000 Männer in Deutschland eine pädophile Hauptpräferenz haben, das heißt, sie werden nur durch Kinder erotisch erregt.

Das Gefährliche an dieser Neigung: Sie kann zu Taten führen, unter denen das Kind ein Leben lang leidet. Wir wollen in SWR2 Wissen nicht verharmlosen, nicht für Sympathie mit pädophilen Menschen werben. Und schon gar nicht für Verständnis mit all jenen, die in der realen und in der digitalen Welt sexuelle Vorlieben und Macht-Fantasien in strafbarer Weise ausleben. Dazu zählt nicht nur der Missbrauch eines Kindes, sondern auch der Konsum von Missbrauchsabbildungen, sogenannte Kinderpornografie. Wir wollen aber auch nicht jene verurteilen, die sich in Therapie begeben und sicherstellen wollen, dass sie niemals ein Kind missbrauchen.

Pädophilie: Präventionsprojekte für Erwachsene und Jugendliche

Seit 2005 haben sich über 12.000 Menschen an das Präventionsprojekt der Berliner Charité "Kein Täter werden" gewandt. Mehr als 4.000 erhielten eine Diagnose, über 1.000 eine Therapie. Dieses Projekt ist weltweit einzigartig. Denn nur hier können sich Pädophile anonym beraten, diagnostizieren und therapieren lassen. Wer nicht kernpädophil ist, ist nicht allein durch Kinder sexuell erregbar.

Viele Pädophile haben bereits in ihrer Jugend gemerkt, dass sie andere sexuelle Vorlieben haben als Gleichaltrige. Daher gibt es auch für Jugendliche Hilfsangebote. Beim Berliner Projekt "Du träumst von ihnen" melden sich in der Regel Jugendliche im Alter von 15 oder 16 Jahren.

Viele dieser Jugendlichen versuchen, allein mit ihren abweichenden sexuellen Interessen klarzukommen und schotten sich ab. Andere suchen Hilfe und kommen zur Therapie. Manche allerdings erst zu spät, wenn sie bereits Kinder sexuell missbraucht haben oder wenn sie immer wieder Fotos nutzen, die sexuelle Gewalt an Kindern zeigen. Die Jugendlichen werden im Projekt "Du träumst von ihnen" ausführlich diagnostiziert.

Die Betroffenen müssen sich über die Konsequenzen ihrer sexuellen Präferenz klar werden. Wobei unterschieden werden muss:

  • Nicht jeder Pädophile missbraucht Kinder
  • Nicht jeder Missbrauchstäter ist kernpädophil und wird ausschließlich durch Kinder sexuell erregt

Gut ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten können pädophilen Männern vermitteln, dass sie mehr sind als ihre sexuelle Vorliebe.

Ursachen der Pädophilie sind noch unbekannt

Für die Wissenschaft ist inzwischen klar: Pädophile können nichts dafür, sie haben sich diese sexuelle Vorliebe nicht ausgesucht. Wieso manche Menschen eine pädophile Neigung entwickeln, ist allerdings nach wie vor ungeklärt. Ein Gen im Erbgut wurde nicht entdeckt.

"Wir sind uns einigermaßen sicher, dass die Anlage einer sexuellen Präferenz, einer sexuellen Orientierung, evtl. aber auch der sexuellen Geschlechtsidentität, vermutlich sehr früh stattfindet, möglicherweise sogar pränatal, während der Gehirnreifung noch im Mutterleib."

Das hormonelle Milieu könnte dabei eine Rolle spielen, so Prof. Krüger. Aber genau weiß man es noch nicht.

Pädophile Störung gilt als psychische Erkrankung

Pädophile Menschen sind per Definition nicht krank. Eine pädophile Störung gilt als psychische Erkrankung. Das bedeutet aber nicht, dass diese Menschen Missbrauchstäter sind oder zwangsläufig werden.

"Viele Menschen, die eine Pädophilie haben, sind noch nie zum Täter geworden. Insofern sind sie keine Kindesmissbraucher, das muss man trennen. Und es gibt viele Menschen, die sexuellen Kindesmissbrauch begehen, aber gar keine Pädophilie haben. Die Aufteilung ist hier etwa 50:50, wobei auch die Zahlen nur Schätzungen sind."

Kindesmissbrauch: Jeder zweite Täter ist nicht pädophil

Jeder zweite Täter begeht einen Missbrauch an Kindern aufgrund einer Dissozialen Störung, einer Intelligenzminderung oder aus sexueller Unerfahrenheit, so eine Untersuchung von 1998 an Straftätern. Diese sogenannten "Ersatzhandlungstäter" haben keine pädophile Neigung.

Wie aber können Mediziner und Therapeutinnen das überhaupt erkennen? Nicht jeder Straftäter wird entdeckt, lässt sich untersuchen oder beantwortet Fragen.

Diagnostik und Therapie

In der Therapie eines Pädophilen geht es darum, dass er Situationen erkennen lernt, die zu einem weiteren Missbrauch führen könnten. Er soll lernen, solche Situationen zu vermeiden und Handlungsalternativen zu suchen. Bei Tätern, die nicht exklusiv-pädophil sind, steht hingegen die Stärkung von Beziehungen zu Gleichaltrigen im Vordergrund.

Drei Verfahren haben sich für die Diagnostik bewährt. Eine Methode, die Phallometrie, wurde bereits in den 1960er-Jahren entwickelt und wird immer noch angewandt. Dabei stülpt der Betroffene einen Glaszylinder über seinen Penis. Auf drei Leinwänden werden ihm Fotos in Lebensgröße gezeigt und gleichzeitig über einen Kopfhörer entsprechende erotische Geschichten erzählt. Über den Glaszylinder werden Volumenveränderungen des Penis gemessen. Die Methode sei allerdings anfällig für Manipulation, so Prof. Jorge Ponseti, Leiter des Forschungslabors Sexualmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Bei der zweiten Methode soll der Proband die wechselnde Position eines Punktes auf Bildern benennen. Unterschiedlich stark abgelenkt wird er er durch die Motive: Fotos von nackten Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts. Dieses Diagnose-Verfahren erkennt exklusive Pädophile in neun von zehn Fällen.

Die dritte Methode nutzt moderne medizinische Geräte: die Kernspintomographie. Sie liefert ein hochauflösendes Bild der Hirnaktivität. Dabei können Fachleute erkennen, wenn sexuelle Zentren aktiviert werden.

Beim Projekt "Kein Täter werden" müssen die Teilnehmer Fragebogen ausfüllen. In der Therapie sollen sie lernen, aus der Forschung bekannte Risikofaktoren für Sexualstraftäter zu erkennen, die für einen Rückfall entscheidend sind. Diese Risikofaktoren sind gut erforscht. Sie müssen lernen, ihre Gefühle zu regulieren. Sie müssen Quellen für die Selbstbestätigung finden und Wege, mit Langeweile umzugehen.

Konsequenzen von Therapie und medikamentöser Behandlung

Um das Risiko eines Übergriffs auf ein Kind zu senken, diskutieren einige Fachleute, dass sich pädophile Männer ihrem sozialen Umfeld offenbaren. Egal ob sie bereits Täter sind und ein Kind missbraucht haben oder nicht. Für den Mann kann das bedeuten, dass sich Familie und Freunde von ihm abwenden, wenn er sich offenbart. Aber es ist vielleicht die Rettung für ein Kind.

Begibt sich ein pädophiler Mann in Behandlung, kann er zusätzlich zur Gesprächs- und Verhaltenspsychotherapie Medikamente erhalten – zur Unterdrückung der Libido oder der Bildung von Testosteron. Doch gerade die Testosteron-Hemmer verursachen oft schwere Nebenwirkung wie Depressionen und eine Verminderung der Knochendichte, sodass sie nur unter strikter medizinischer Betreuung gegeben werden dürfen. Ein weiteres Problem: Wenn die Medikamente abgesetzt werden, kommen Libido und sexuelles Verlangen mit Wucht zurück.

Sexueller Kindesmissbrauch: Frauen können auch zu Täterinnen werden

Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2020 geht hervor, dass bei sexuellem Kindesmissbrauch der Frauenanteil bei fünf Prozent liegt. In einer Studie von 2011 geben lediglich 1,5 Prozent der missbrauchten Mädchen an, dass sie von einer Frau missbraucht wurden. Von den missbrauchten Jungen sagten das hingegen über 15 Prozent. Die großangelegte Mikado-Studie der Universität Regensburg aus dem Jahr 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass etwa jedes dritte männliche Opfer von einer Frau missbraucht wurde.

Sich anvertrauen können: weniger Täter durch mehr Offenheit in der Gesellschaft?

Noch verbergen die meisten Pädophilen ihre sexuelle Neigung und leben im Verborgenen. Würden Bekannte davon wissen, könnten sie helfen, brenzlige Situationen zu vermeiden. Einigen gelingt es, ihre Wünsche und Sehnsüchte zu kontrollieren. Mithilfe einer Therapie, mithilfe von Medikamenten.

Anm. der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes war fälschlicherweise von "strafbaren Vorlieben" die Rede.

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