Bei den Passionsspielen in dem kleinen Ostalbort Dirgenheim gibt es in diesem Jahr etwas ganz Neues: Ein aus Syrien geflüchteter junger Mann spielt den Jesus. Und wie bei den Proben zu hören ist, geht Anas Saballil voll in seiner Rolle auf: "Oh mein Gott!" Aus tiefster Seele schreit der Darsteller die letzten Worte Jesu', brüllt dessen Schmerz und Verzweiflung in den Kirchenraum. Mit Jesus hat Anas Saballil. zwei Gemeinsamkeiten: Auch er ist Orientale. Und auch er musste flüchten.
Hauptrolle bei den Dirgenheimer Passionspielen spielt nicht Jesus
Seit 1991 werden in der Sankt-Georgs-Kirche im gut 300-Seelen-Dörfchen Dirgenheim Passionsspiele aufgeführt, in der Regel alle zwei Jahre. Drei Viertel der Dirgenheimer spielen mit oder beteiligen sich zumindest in irgendeiner Weise, das hat Tradition. Und es gibt noch eine: Sie spielen die neutestamentliche Erzählung von Gefangennahme, Verurteilung und Hinrichtung Jesu nicht einfach nach - sie führen jedesmal ein neues Stück auf. Bei dem nicht Jesus die Hauptrolle spielt, sondern eine Nebenfigur, oft eine erfundene.
Im aktuellen Stück "Nägel für ein Kreuz" ist es ein Schmied aus Jerusalem. Der Schmied, der vier Nägel für Jesu' Kreuzigung anfertigen muss. Ein Auftrag vom Hohen Rat. Was Japhet - so sein Name - in einen Gewissenskonflikt bringt, der mit fortschreitender Handlung größer und größer wird. Die Auseinandersetzung zwischen ihm, seiner Frau und den Religionshütern steht im Zentrum des Stücks. Und die Frage nach der Verantwortung jedes einzelnen für sein Handeln. Auch wenn er scheinbar nur ein kleines Glied in der Kette der Geschehnisse ist.
Geflüchteter aus Syrien "Idealbesetzung" für die Rolle des Jesus
Jesus hat dagegen nur eine Nebenrolle. Sprechen muss Anas Saballil kaum etwas. Dabei ist das Deutsch des 30-Jährigen ganz passabel. 2015 kam er als Geflüchteter aus Syrien nach Deutschland, macht zur Zeit eine Ausbildung. Eine Arbeitskollegin, deren Mann bei den Passionsspielen mitmacht, sah in ihm die Idealbesetzung für die Rolle des Jesus.
Der bärtige junge Mann mit den dunklen langen Haaren sieht landläufigen Jesus-Darstellungen tatsächlich ähnlich. Zumal nachdem ihn die Maskenbildnerin geschminkt und er sich ein traditionelles orientalisches Gewand aus dem Fundus angezogen hat.
Mit dem Mitwirken in einem christlichen Theaterstück hat der gläubige Muslim nicht das geringste Problem. "Ich glaube, dass wir einen Gott haben, und in unserem Koran steht Jesus auch", sagt er. Überhaupt ist er offen gegenüber anderen Religionen. "Ich bin kein Muslim, wenn ich eine andere Religion nicht respektiere", bekennt Anas Saballil offen.
Ensemble ist für "muslimischen Jesus" zur zweiten Familie geworden
Auch Martin Bernard hat mit seinem muslimischen Jesus kein Problem. "Da Oberammergau auch einen hat, haben wir kein Problem damit", sagt der Spielleiter der Dirgenheimer Passionsspiele. Vor der Besetzung der Rolle habe er sich aber doch bei "verschiedenen Leuten" erkundigt, ob etwas gegen den Syrer spräche. Nichts sprach dagegen.
Auch von Seiten des Ensembles nicht, im Gegenteil. "Ich bin seit zwei Monaten dabei. Und habe jetzt eine zweite Familie", erzählt Anas und grinst. Auch über die Frage nach möglichem Lampenfieber. Die Bühne sei zwar neu für ihn. Doch zusammen mit seiner Frau betreibt er einen Kanal beim Videoportal "Tik Tok" und hat Erfahrung mit öffentlichen Auftritten.
Ab Freitag, 10. März, wird der syrische Jesus zwölf Mal in Dirgenheim auf der Bühne stehen. Karten gibt es nur noch wenige.