Jeder Griff sitzt, wenn Lieselotte Liepert in ihrem Bürstenstand auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt Kundinnen und Kunden eine Bürste zeigen will. Kein Wunder - sie und ihr Mann Rainer betreiben seit 25 Jahren den Bürstenstand auf dem Münsterplatz. Immer am selben Platz: erste Reihe vor dem Münster, ganz links. Ein Büdchen bis unters Dach voller Bürsten - dabei hatte alles mit einem Schwamm angefangen.
Vom Schwamm zur Bürste - dank der Kundinnen
Alles fing damit an, dass sich Rainer und Lieselotte Liepert kennenlernten. "Als wir zusammenkamen, hatten wir beide schon einen großen Hausstand und vieles doppelt", erzählt Lieselotte Liepert. Das war 1988. Weil die Sachen noch gut erhalten waren, verkauften sie vieles auf einem Flohmarkt. Dort entdeckten sie einen Mann, der Spülschwämme anbot - damals eine Neuheit. Kurzerhand beschlossen sie, auch welche zu verkaufen. "Und dann kamen immer öfter Leute, die fragten: Habt ihr auch Spülbürsten?", erzählt Lieselotte Liepert lachend - und so fing alles an.
Eigentlich ist sie Kauffrau und er Lkw- und Kranfahrer: "Ich hab immer gesagt: Ich verkaufe alles und du fährst alles!" Heute ist ihr Mann 64 und sie 66 Jahre alt und sie weiß: Für jede Lebenslage gibt es eine Bürste.
Mehr als 4.500 Bürsten im Stand
Wer in die kleine Bude auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt kommt, ahnt noch nicht, welche Schätze dort warten. Es geht drei Stufen rauf, drinnen ist es hell und gemütlich. In einem Rundgang sind Bürsten aller Art zu finden. Sie stecken in Behältern, liegen in Regalen und hängen von der Decke. Jede noch so kleine Stelle beherbergt eine Bürste. Mehr als 4.500 Exemplare haben sie in ihrem Marktstand, erzählt Ehemann Rainer.
Natürlich gibt es Spülbürsten. Es gibt aber auch Bürsten für Fliegengitter, für den Thermomix, für Fugen. Es gibt winzige Bürstchen für Trinkhalme, große für Kamine, weiche für den Busen und schmale, lange für den Hohlraum am Duschkabinengummi. Auf letztere Bürste ist Lieselotte Liepert besonders stolz, denn die hat sie selbst erfunden. "Leider habe ich sie nicht patentieren lassen", bedauert sie kurz, doch dann sieht sie eine Kundin mit fragendem Blick und ist sofort bei ihr.
Zu jeder Bürste weiß sie etwas zu sagen. So sei die Klosterbürste von einem Mönch erfunden worden, der vom vielen Sitzen Nackenschmerzen bekam. Einer Dame, die eine Bürste sucht, um den Toilettenabfluss richtig zu reinigen, zeigt sie, wie sich eine Bürste zurechtbiegen lässt. Ein Kunde freut sich über ein Geschenk, das er gefunden hat - und staunt zugleich: "Eine Busenbürste, ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt."
Tipp führte zum Ulmer Weihnachtsmarkt
Eigentlich kommt das Paar aus Adelsheim im Neckar-Odenwald-Kreis, etwa 50 Kilometer nördlich von Heilbronn. Doch jeden Dezember ziehen die beiden nach Ulm. Ein Bekannter habe ihnen vor 25 Jahren den Tipp gegeben, doch mal in die Münsterstadt zu fahren. Zu weit weg, dachte Lieselotte Liepert, deren Sohn damals noch klein war. Doch sie schickte ihren Mann hin. Der Markt war gut - es erschien sogar ein Zeitungsartikel über den Bürstenstand. Da war klar: Sie kommen wieder.
Im ersten Jahr hatte sie noch keinen begehbaren Stand. Die Ware lag aus, doch abends fielen häufig durch die Gäste des benachbarten Glühweinstandes die Waren von der Theke. Daraufhin erhielten die Lieperts die Erlaubnis, ihre begehbare Bude aufzustellen.
Familie hilft bei Personalnot am Bürstenstand aus
Das Ehepaar mietet sich für die Weihnachtsmarktzeit jedes Jahr eine Ferienwohnung - dieses Jahr nicht nur für sie beide, sondern für insgesamt sechs Personen. Sohn Manuel und Schwiegertochter Lisa helfen aus, und sie haben die beiden Enkel im Alter von drei und fünf Jahren dabei.
Eigentlich betreiben die beiden ein Restaurant in der südlichen Steiermark in Österreich, doch sowohl Lieselotte Liepert als auch ihr Sohn haben dasselbe Problem: "Wir bekommen keine Aushilfen. So hat mein Sohn das Restaurant geschlossen und er hilft mir, weil ich auch keine Aushilfen habe." Einen großen Vorteil hat das - ihr Sohn kümmere sich um das Essen: "Und das ist bombastisch, ich genieße das richtig. Ich esse alles, was er kocht."
Für die Kinder wurde eine Betreuung gefunden, die mit den Kleinen sogar Plätzchen backt. "Aber sie sind auch mal am Stand", so Bürsten-Expertin Liepert. Für sie sei das wie ein Kaufladen, der Fünfjährige würde auch manchmal an der Kasse helfen, so gut er könne. Sohn Manuel, seines Zeichens Koch, kümmert sich in der Zeit ums Mittagessen für die Familie. Schwiegertochter Lisa freut sich über den Tapetenwechsel: "Es macht richtig Spaß", erzählt sie. "Lustig ist immer, wenn Kunden fragen: 'Gibt es dafür eine Bürste?' Und ich sage: 'natürlich!'"
Nachfolger für Bürstenstand gesucht
Doch so sehr Lieselotte und Rainer Liepert in ihrem Bürstenstand aufgehen, sie suchen eine Nachfolge. Beide sind Mitte 60, und sie merken die Anstrengung. "Meine Schwiegertochter nimmt mir viel ab", so Lieselotte Liepert, "aber sie haben ja leider ein eigenes Geschäft." Zudem würde sie sich gern mehr ihrem liebsten Hobby widmen, ihren Enkeln: "Ich bin mit Leib und Seele Oma", sagt sie voller Inbrunst. Nächstes Jahr wollen die Lieperts ihren Stand auf dem Ulmer Weihnachtsmarkt aber auf jeden Fall noch betreiben.