Seit 100 Jahren gibt es evangelische Gottesdienste für gehörlose Menschen in Württemberg. Und das wird am Sonntag, ab 14 Uhr, im Haus der Begegnung in Ulm gefeiert. Geplant ist unter anderem ein Gottesdienst in Gebärdensprache.
Daniela Milz-Ramming ist in der württembergischen Landeskirche für die gebärdensprachliche Gemeindearbeit zuständig und organisiert den Festakt. Sie freut sich sehr über das Jubiläum: "Ich bin mächtig stolz auf meine Landeskirche", sagte die Pfarrerin im SWR-Interview: Stolz darauf, dass die Kirche bereits vor 100 Jahren Anstrengungen unternommen hat, Gehörlose zu integrieren.
Teilnehmende aus Baden-Württemberg und Bayern in Ulm
Zum Festakt im Haus der Begegnung werden etwa 100 Teilnehmende aus ganz Baden-Württemberg und Bayern erwartet. Auf Ulm fiel die Wahl wegen der guten Erreichbarkeit per Zug, außerdem habe dort bereits der alle zwei Jahre stattfindende Württembergische Gehörlosenkirchentag stattgefunden, so Milz-Ramming. Die Predigt werde Andreas Konrath, Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge (DAFEG), halten. Danach soll neben einem Unterhaltungsprogramm speziell für Gehörlose vor allem Zeit für Austausch bleiben.
Landespfarrerin gebärdet auch im Internet
Die Landespfarrerin arbeitet schon seit 20 Jahren mit der Gebärdensprache, seit vier Jahren kümmert sie sich hauptamtlich um die Belange Gehörloser in der Kirche: "Ich liebe die Gebärdensprache. Es ist eine wunderbare Ganzkörpersprache", erklärt sie. Ihr ist die Lobbyarbeit wichtig - und dass Gehörlose zu ihrem Recht kommen. Sprachen und "mit den Händen reden" habe ihr schon immer gelegen.
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Sie verbreitet sonntägliche Andachten auf Youtube. Entstanden ist sie aus einem Zufall: Als sie wegen einer Vollsperrung im Stau stand, habe sie ihre Predigt aufgenommen. Diese sei gleich von vielen weitergeleitet worden. Dann sei Corona gekommen und sie machte weiter. Derzeit hat sie 300 Abonnenten. Gesehen werde die Andacht aber von mehr Menschen: Unter Gehörlosen würden die Clips häufig in der privaten Kommunikation von Handy zu Handy weiterverbreitet. Die Pfarrerin ist aber auch im "echten Leben" vor Ort: Sie organisiert Ausflüge für Gehörlose und fährt persönlich zu den Gläubigen für Taufen, Trauungen oder Beerdigungen.
Außerdem hält sie Gottesdienste in Gebärdensprache. Dies ist gemessen an den 100 Jahren noch nicht lange der Fall - damals sollten Gehörlose noch von den Lippen ablesen, so Pfarrerin Milz-Ramming. Dabei würden selbst bei deutlicher Aussprache nur etwa 30 Prozent des Gesagten verstanden. Doch: In den vergangenen 100 Jahren habe sich sehr viel getan.
Gottesdienst für Gehörlose: von Lippenablesen zur Gebärdensprache
Dass gehörlose Menschen besondere Angebote von Kirchengemeinden brauchen, wurde in der Kirche schon vor rund 350 Jahren erkannt. Die erste schriftliche Erwähnung einer gehörlosen Person innerhalb der württembergischen Kirche stammt aus dem Jahr 1668. In einem Brief berichtet Dekan Joseph Cappel von Urach von einem gehörlosen Mädchen, das zum Abendmahl gehen will, und diskutiert wird, ob das möglich ist.
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Vor 100 Jahren habe dann ein Vikar den entscheidenden Antrag gestellt, auch Gehörlose beim Gottesdienst zu berücksichtigen, so Pfarrerin Milz-Ramming. Dennoch war es für Gehörlose in dieser Zeit nicht leicht, dem Pfarrer zu folgen, berichtet Daniela Milz-Ramming. Bei einem Kongress in Mailand 1880 war die Gebärdensprache in Europa für unnötig befunden worden, Gehörlose sollten von den Lippen ablesen.
Seit dieser Zeit habe sich viel verbessert. Zunächst wurden in Gottesdiensten Bildchen gezeigt, Projektoren und Beamer eingesetzt - und letztlich wieder die Gebärdensprache eingeführt. Sie ist seit 2002 offiziell als Sprache anerkannt. Seitdem gibt es auch Studiengänge zur Gebärdensprache, jeder kann die Sprache erlernen. In der Folge sei auch die Gehörlosenwelt selbstbewusster geworden, freut sich die Pfarrerin.