Viele Familien aus der Ukraine sind nach Kriegsbeginn nach Deutschland geflohen - meist Mütter mit Kindern. Die Väter bleiben in der Ukraine und kämpfen an der Front. Bis jetzt kamen laut Baden-Württembergs Migrationsministerium 150.000 Geflüchtete aus der Ukraine nach Baden-Württemberg. Die Schulen im Land nahmen nach Angaben des Kultusministeriums 28.900 ukrainische Kinder und Jugendliche auf.
Das Kultusministerium in Stuttgart spricht von einem Kraftakt und lobt das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Es sei Dank des großen Einsatzes der Lehrerschaft und auch der neu dazugewonnen Unterstützungskräfte gelungen, viele Schülerinnen und Schüler "beinahe geräuschlos" in unser Schulsystem aufzunehmen, so der Sprecher des Kultusministeriums in Stuttgart, Fabian Schmidt.
Nachgefragt bei Schulen im Land
War es wirklich "beinahe geräuschlos"? Dienstagmorgen 8:20 Uhr an der Heinrich-Steinhöwel-Schule in Weil der Stadt (Kreis Böblingen). In der Vorbereitungsklasse von Lehrerin Larisa Movsovic lernen die sechsjährigen Jungen aus der Ukraine Kyrolo, Illia, Tymofii und Zakhar die deutsche Sprache. Sie sind alle seit einigen Monaten in Deutschland und mussten erst die Buchstaben des deutschen Alphabets lernen. Heute steht das "P" auf dem Programm.
Die Kinder sind aufgeweckt und zeigen später in einer Übung, was sie in eine Schultasche packen würden. "Es ist etwas in der Schultasche, das ist orange", sagt Kyrolo in fast akzentfreiem Deutsch. "Das Mathebuch", ruft Illia, der ihm gegenübersitzt. Dabei deutet er auf ein Plakat an der Tafel mit den Gegenständen aus einem Schulranzen: Radiergummi, Lineal und das Mathebuch sind da zum Beispiel abgebildet. "Die Kinder sind sehr motiviert und wollen lernen. Aber einige sind schon traumatisiert," erzählt Movsovic. "Ein Junge hat die ganze Zeit geweint und wollte nur zu seiner Mutter."
SWR Reporterin Christina Erdkönig war an einer Schule in Weil der Stadt im Kreis Böblingen:
Krieg als Dauerthema
Der Krieg beschäftigt die Kinder sehr, findet die Lehrerin aus Weil der Stadt. Sie selbst stammt aus der Ukraine, kam aber schon vor dreißig Jahren nach Deutschland. Als Deutschlehrerin unterrichtet sie seit März 2022 in der Vorbereitungsklasse die ukrainischen Erstklässler an der Heinrich-Steinhöwel-Schule.
An der Schule in Weil der Stadt werden insgesamt dreißig ukrainische Kinder und Jugendliche unterrichtet. Es gibt drei sogenannte Vorbereitungsklassen (VKL): Eine in der Grundschule, zwei in der Sekundarstufe der Gemeinschaftsschule, also ab Klasse fünf. In diesen Klassen sind auch viele Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern zum Beispiel aus Afghanistan, Syrien und Georgien. "Das System hier bei uns ist teilintegriert", erzählt VKL-Lehrerin Claudia Höfer, die die größeren Kinder ab zehn Jahren in Deutsch unterrichtet. "Teilintegriert" heißt: Zum Deutschlernen sind die Kinder in den VKL-Klassen. In bestimmten anderen Fächern, wie Sport und Englisch, sind sie dann in den Regelklassen.
Andere Unterkunft: Kinder müssen Schule wechseln
Schulleiterin Sascha Sauter erzählt, dass sie oft improvisieren muss. "Uns fehlen vor allem die Räume." Da wird schon mal die Schulküche zum Unterrichtsraum für Deutsch für die Geflüchteten.
Sehr bitter findet Sauter, dass Kinder, die manchmal mühsam integriert wurden, die Schule wechseln müssen, weil die Familie eine Unterkunft in einer anderen Gemeinde zugewiesen bekommen hat. Ähnliches berichtet Marc Jooss, Schulleiter an der Grundschule am Kohlbach in Waldkirch (Kreis Emmendingen). Die Grundschule in der Kleinstadt im Schwarzwald nördlich von Freiburg hat etwas mehr als 200 Schülerinnen und Schüler. Jooss fand es sehr hart, als ein Mädchen aus der Ukraine, das sich gut eingewöhnt hatte, wieder die Schule wechseln musste. "Die Familie hat eine Wohnung vierzig Kilometer entfernt von Waldkirch bekommen. Das Mädchen muss dort jetzt wieder von vorne anfangen, obwohl sie sich hier gut eingelebt hatte."
Improvisieren gehört zum Alltag von Schulleiterinnen und Schulleitern
Auch Jooss musste etwas improvisieren, als er im Frühjahr 2022 in seiner Schule zwölf geflüchtete Kinder aus der Ukraine aufnahm. Er hatte keine russisch- oder ukrainischsprachige Lehrerin für die Vorbereitungsklasse gefunden. Deshalb wurden zwei Übersetzungsgeräte angeschafft und eine Lehrerin brachte mit deren Hilfe den Mädchen und Jungen aus der Ukraine die Grundlage der deutschen Sprache bei. Nach einem halben Jahr in der sogenannten Familienklasse, in der ukrainische Kinder der Klassen eins bis vier zusammengeschlossen waren, entschied sich Jooss, die Kinder in die Regelklassen zu verteilen. "Sie kamen dann in das Sprachbad. Damit haben wir ganz gute Erfahrungen gemacht."
"Doppelt beschult": Onlineunterricht noch in der Ukraine
Regine Wagner organisiert seit 2016 die Vorbereitungsklassen für geflüchtete Kinder und Jugendliche am Pfarrwiesen-Gymnasium in Sindelfingen (Kreis Böblingen). "Es ist recht schwierig für die ukrainischen Kinder in den VKL-Klassen. Sie kommen nicht so zügig in der deutschen Sprache weiter wie Kinder aus anderen Ländern", sagt die Lehrerin. "Wir führen das darauf zurück, dass viele noch vor und nach dem Unterricht bei uns Onlineunterricht in der Ukraine haben."
Wie stark sind die ukrainischen Schülerinnen und Schüler emotional mit dem Krieg in ihrer Heimat beschäftigt? Das hat sich Regine Wagner immer wieder gefragt. "Der psychologische Aspekt darf nicht unterschätzt werden. Die Kinder und Jugendlichen können kaum den Kopf frei haben, um eine so schwere Sprache wie Deutsch zu lernen." Und der Schulleiter des Sindelfinger Pfarrwiesen-Gymnasiums Ulrich Mayer, der für die Gymnasien im Kreis Böblingen die Flüchtlingsklassen koordiniert, geht noch ein wenig weiter in seiner Einschätzung: "Die Kinder wollen zurück. Ihr Herz schlägt noch in der Ukraine."