Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den Folgen der Corona-Pandemie. Sie sollen nach dem Willen der Bundesregierung mehr Unterstützung bekommen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) haben das am Mittwoch unterstrichen. Nach einem Bericht der Bundesregierung dauern die Folgen der Pandemie an. 73 Prozent fühlen sich psychisch belastet.
Diese Erfahrungen machen auch Familien in Baden-Würtemberg. Ängste werden beispielsweise bis in die Schulen getragen. Corinna Ehlert ist die Leiterin der schulpsychologischen Beratungsstelle in Stuttgart. Und gleichzeitig die stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Schulpsychologie Baden-Württemberg. Sie kennt die Situation an den Schulen im Land. Und sie findet deutliche Worte.
"Das hat alles wirklich zugenommen, auch die Kriseneinsätze", berichtet sie. Man sei oft an Schulen, rede mit Schulleitern und mit Lehrkräften über suizidale Gedanken. All das habe zugenommen. Corinna Ehlert sagt: "Jetzt fängt es erst so richtig an. Jetzt kommt wirklich der 'Peak'."
Druck durch die unterschiedlichen Krisen in vielen Familien spürbar
Der Druck, der auf vielen Familien in Baden-Württemberg, auf Kindern, auf Jugendlichen lastet, lässt sich immer deutlicher erkennen. Drei Viertel der Eltern fordern in einer SWR-Umfrage mehr psychologische Beratungsangebote für Kinder.
Doch viele finden nicht auf Anhieb Hilfe, sagt die Heidelberger Ergotherapeutin Barbara Pfeiffer. Sie behandelt in ihrer Praxis etliche Kinder und Jugendliche, die beispielsweise an den Folgen der Corona-Pandemie leiden.
Immer häufiger seien Kinder mit Zwangsstörungen zu behandeln. Kinder oder Jugendliche würden dadurch versuchen Dinge zu steuern. Ihren Körper in den Griff zu bekommen, beispielsweise wenn sie sich in die Haut ritzen, sich selbst verletzen, berichtet Barbara Pfeiffer. Aber sie sagt auch, die Pandemie habe wie ein Brennglas gewirkt und Probleme sichtbarer gemacht.
Corona-Krise wirkt bei Kindern und Jugendlichen nach
Ähnlich schildert die Situation auch Corinna Ehlert vom Landesverband Schulpsychologie Baden-Württemberg. Corona sei nicht vorbei, denn das, was die Kinder verpasst hätten, beispielsweise in einer Gruppe miteinander umzugehen, sei noch nicht bewältigt. Die Kinder, die Unterstützung bräuchten, hätten massive Einbußen, in ihrer Leistung und teilweise auch in ihrem Sozialverhalten.
Eine Aussage, die sich mit der Beobachtung aus der Forschung, aber auch aus dem Alltag in der Kinder- und Jugendpsychiatrie deckt. So schildert es der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, Tobias Banaschewski. Es zeige sich klar, "dass die verschiedenen Krisen in Zusammenhang mit einer Zunahme von psychischen Auffälligkeiten stehen." Er berichtet von langen Wartezeiten, wenn es um psychologische Beratung und Hilfe geht.
Familien fordern mehr psychologische Beratungsangebote
Auch danach hat der SWR gefragt. Ob Familien, die Kinder mit psychischen Problemen haben, Unterstützung fanden. Fast jede fünfte Familie fühlt sich mit ihren Problemen alleine gelassen.
So wie Familie Engel aus Heidelberg. Der Druck durch die vielen Krisen, die Sorgen, wirken sich auch auf das Familienleben aus, sagt Stefanie Engel. Das Angstgefühl färbe auf Kinder ab. Deshalb müsse man als Familie versuchen, nicht alle schlechten Nachrichten an sich herankommen zu lassen. Ihr Sohn wird demnächst acht Jahre alt, wird die erste Klasse wiederholen. Das Lernen sei ihm schwer gefallen. Oft zeichnet er Bilder vom Krieg, erzähle viel von Erlebnissen aus der Pandemie. Bei der Suche nach Hilfe sei sie aber immer "ins Leere gelaufen."
Dass die Familie schließlich Unterstützung fand sei purer Zufall, sagt Stefanie Engel. Dass ihr Sohn aber dringend Unterstützung benötigt habe, schnell klar gewesen.
Mehr Personal in den Schulen notwendig
Bei allen Problemen, die immer offener zu Tage treten, betont Corinna Ehlert vom Landesverband Schulpsychologie Baden-Württemberg aber auch, dass nicht jede Lernschwäche gleich ein Krankheitsbild sei. Oft seien es einfach Schwierigkeiten, die die Kinder hätten. Das müsse sehr gut unterschieden werden.
Dennoch: Trotz der hohen Beratungsnachfrage seien die Stellen in Baden-Württemberg seit 2012 nicht ausgebaut worden.
Für die Heidelberger Ergotherapeutin Barbara Pfeiffer ist klar: "Das, was Familien leisten, ist nicht leistbar." Der Anspruch sei zu hoch. An sich selbst. Und an die Kinder. Man könne nicht jede Krise mit den Kleinsten durchdiskutieren.
"Man kann nicht überall hundert Prozent geben," findet die Heidelberger Mutter Stefanie Engel. Es helfe aber auch nicht, nach außen zu signalisieren, man schaffe als Familie alles. Man müsse auch offen sagen, was nicht mehr zu stemmen ist.