Die meisten Familien in Baden-Württemberg schränken sich angesichts der Inflation ein - sie tun es aber unterschiedlich je nach Einkommen, wie Beispiele aus dem Enzkreis und Pforzheim deutlich machen.
Spardruck trifft auch wohlhabende Familien
Die zweijährige Lina sitzt ungeduldig in einem Einkaufswagen, zappelt hin und her und zeigt mit dem Finger immer wieder auf ein blaues Getränk im Regal. "Blaues Trinken Mama! Blaues Trinken!" Ohne Erfolg. "Das haben wir zuhause", sagt Mutter Barbara Vetters und schiebt den Einkaufswagen mit ihrer Tochter weiter durch den Supermarkt in Pforzheim-Huchenfeld.
Es ist nicht das einzige Mal, dass Barbara Vetters heute "Nein" sagen muss. Die Familienmutter aus Neuhausen-Schellbronn (Enzkreis) muss durch die gestiegenen Preise mehr denn je auf's Geld achten. Ihr Mann und sie müssen den Kredit für's Haus abbezahlen, auch die Besorgungen für ihre drei Kinder sind teuer.
Weniger Bio-Produkte, mehr Aktionen
Beim Einkaufen heißt das: Bio-Produkte sind nicht mehr drin. Sie schaut jetzt nach den billigeren Alternativen. "Bei Milchprodukten ist es preislich extrem angestiegen." Barbara Vetters kauft jetzt auch mehr das ein, was gerade Saison hat. Das ist günstiger. Nudeln, Mehl und Reis kaufen sie und ihr Mann in größeren Mengen, wenn sie im Angebot sind - auch durchaus online. Überhaupt achtet die Familie jetzt sehr auf Angebote. Trotzdem kann und will sie sich gute Qualität bei Lebensmitteln noch leisten.
Supermärkte spüren, dass gespart wird
Dass die Menschen sparen, merken auch die Lebensmittelmärkte. Sie sprechen von "downgrading": "Leute, die Demeter gekauft haben, kaufen jetzt Bio, wer Bio gekauft hat, kauft jetzt Markenware", sagt Frank Berger. Er ist Geschäftsführer von drei Edeka-Märkten in der Region Pforzheim. Die Menschen kaufen deutlich mehr Produkte in Aktion. Dieser Anteil hat früher zehn Prozent des Gesamtumsatzes der Supermärkte ausgemacht. Jetzt liegt er bei zwanzig Prozent, so Berger. "Das sind Galaxien!"
Familien in Baden-Württemberg ändern ihr Verhalten beim Heizen
Familie Vetters spart aber auch zuhause beim Heizen. Sie haben sich vor ein paar Jahren eine Holz-Pellets-Heizung einbauen lassen. Diesen Winter heizen sie aber fast nur mit Holz und nicht mit Pellets, weil es billiger ist. Damit sparen sie sich rund 1.100 Euro im Jahr. Die Inflation zählt die Familie mit zu ihren größten Sorgen. Damit ist sie nicht allein: Viele Familien in Baden-Württemberg beunruhigt die Preissteigerung am meisten, gefolgt von der Energieversorgung und dem Ukraine-Krieg. Das zeigt eine nicht-repräsentative SWR-Umfrage. Eine Folge davon ist, dass rund 80 Prozent der Familien ihr Verhalten beim Heizen geändert haben.
Wocheneinkauf für zwölf Euro im Ulmer Tafelladen
Auch Lorena Frey schränkt sich beim Heizen ein. Die junge alleinerziehende Mutter aus Ulm lebt vom Bürgergeld. Lustkäufe gibt es bei der 26-Jährigen schon lange nicht mehr. Und mit einem Einkaufszettel einzukaufen, klappe auch nicht unbedingt, es fehle die Auswahl, sagt sie.
Wenn sie im Tafelladen einkaufen geht, kommt das auf den Tisch, was eben zu haben ist. Diese Woche war es saisonales Gemüse: Lauch, Karotten, Kartoffeln, Fenchel. Das sparsame Leben kennt Lorena Frey schon lange - sie hatte sich schon in der Schwangerschaft vor mehr als drei Jahren beim Jobcenter gemeldet, um ihre Existenz abzusichern - doch seit der Inflation ist das Geld noch knapper geworden.
Weniger duschen und heizen in der Mütter-WG
Lorena Frey weigert sich aber, dem Mangel zu viel Beachtung zu schenken. Um sich eine bessere Wohnung leisten zu können, hat sie sich mit einer Freundin zusammengetan, die ebenfalls alleinerziehend ist. Gemeinsam haben sie jetzt mehr Platz als es alleine möglich gewesen wäre. Außerdem können sich die beiden gegenseitig unterstützen. Überhaupt findet es Lorena eine gute Idee, sich mit anderen zusammen zu tun, Kontakt zu suchen, sich zu vernetzen. So finde man Hilfe.
Natürlich wird auch in der WG gespart. Weniger duschen, weniger heizen - und die Teller werden auch nicht mit heißem Wasser abgewaschen. Doch auch wenn sie bei jedem Kauf überlegt, ob das wirklich nötig ist, ist sie zufrieden. Anderen Familien gehe es schlechter, sagt sie.
Bedürftige Familien haben nichts zum Sparen
Solche Familien kennt Jan Westermann, Sozialarbeiter bei der Caritas in Pforzheim. "Damit man sparen kann, braucht man am Ende des Monats Geld, das übrig ist", erklärt er. Bei Leistungen wie dem Bürgergeld bleibe aber nichts übrig. "Die Erhöhungen, die da kommen, gleichen immer nur das allerschlimmste aus", so Westermann.
Pro Woche kommen etwa 25 Familien zu ihm und suchen Hilfe - und wenn sie kommen, droht meist schon eine Stromabschaltung oder gar die Kündigung der Wohnung. "Teilweise hoffen sie dann bei uns auf ein Wunder, aber wir haben keine Gelder, die wir auszahlen können", so der Sozialarbeiter. Stattdessen verhandelt er mit Stromanbietern und Vermietern, um den Familien Zeit zu verschaffen. Vor Weihnachten war es besonders schlimm: "Da gibt es dann Familien, für die stellte sich wirklich die Frage: Geschenke oder Essen?"
Inflation hat die Mittelschicht in Baden-Württemberg erreicht
Davon ist Familie Frick aus Unterreichenbach im Kreis Calw noch weit entfernt. Und trotzdem müssen sie sparen, wo es nur geht. Mutter Kathrin Frick zieht ihre drei Töchter im Alter von 12, 15 und 17 Jahren allein groß. Der Vater ist vor ein paar Monaten ausgezogen. Die Familie wohnt weiterhin in einem kleinen Haus. Kathrin Frick ist gelernte Krankenschwester und arbeitet Vollzeit als Bereichsleiterin in einer Klinik in Leonberg. Am Monatsende wird’s trotzdem eng.
Die Einnahmen und Ausgaben der Familie - alles wird genau in einem Budgetplan aufgeschrieben. Damit habe sie einen Überblick, ob sie sich das alles noch leisten könne, so Kathrin Frick.
Alleinerziehende Familien haben öfter Geldsorgen
Kathrin Frick und ihre Töchter tragen zusammen Zeitungen aus, um sich ein bisschen was dazu zu verdienen. An Urlaub oder ein neues Handy für die Kinder ist aktuell nicht zu denken. Die SWR-Befragung unter Familien in Baden-Württemberg zeigt, dass Alleinerziehende öfter Geldsorgen haben als andere Familien. Nur 21 Prozent gaben an, keine Geldsorgen in diesem Winter zu haben. Fast alle alleinerziehenden Familien (93 Prozent) sparen oder möchten Geld sparen.
Familien, in denen mindestens ein Elternteil studiert hat, haben im Schnitt weniger Geldsorgen. 40 Prozent kommen ohne Geldsorgen durch den Winter, 77 Prozent der Akademiker-Familien möchten sparen. Das bedeutet, dass Familien auch dann sparen, wenn sie gar keine Geldsorgen haben. Das bestätigt sich auch, wenn man alle Familien zusammenzählt, die an der SWR-Befragung teilgenommen haben. Vier von fünf Familien (82 Prozent) möchten sparen, gut die Hälfte (45 Prozent) hat Geldsorgen in diesem Winter.