Es ist heiß, über 35 Grad. Die Hitze flimmert über dem goldgelben Roggenfeld. Und mittendrin: Tierpfleger Lars. Langsam und vorsichtig bahnt er sich einen Weg durchs Feld. Gar nicht so einfach, bei den Temperaturen. "Wenn du mit dem Kopf da eintauchst, dann merkst du was für eine Hitze auch im Feld ist", meint Lars und wischt sich mit seinem Leinenhemd einen Schweißtropfen von der Stirn. Lars bückt sich und setzt die halbmondförmige Klinge der Sichel am unteren Ende des fast zwei Meter langen Halmes an. Gekonnt nimmt er ein paar der Halme in die Hand und schneidet sie kurz vor dem Ackerboden ab.
Ur-Roggen bietet als Stoppelfeld noch Nahrung für Ziegen
Stück für Stück arbeitet sich Lars durchs Feld. Der Haufen abgeschnittener Halme, die er neben das Feld legt, wird immer größer. 0,1 Hektar groß ist das Roggenfeld. 10 Helfer sind bei der Ernte dabei. Mindestens zwei Tage werden sie per Hand den Roggen ernten. Mit einem Mähdrescher ginge das natürlich schneller. Den gab es aber nicht im Mittelalter. Und den wünscht sich Lars auch nicht herbei. Denn er will später seine Tiere, die Schafe und Ziegen, noch übers abgeerntete Feld schicken. Die freuen sich, wenn sie noch etwas zum Knabbern finden.
Garben werden zu Hocken aufgestellt
Aber bevor die Schafe an den Stoppeln knabbern können, werden die abgeschnittenen Halme erst einmal mit einem Strohseil zu Garben zusammengebunden. Und anschließend zu sogenannten Hocken, aufgestellt. Sieht ein bisschen aus wie ein Zelt aus Getreide. Dank der Hocken trocknet das frisch geerntete Getreide auch wenn mal ein Regenguss kommt. Und die Wildkräuter, die sich zwischen den Halmen verstecken, treiben nicht mehr aus.
Viele Gebäude im Mittelalter hatten Strohdächer
Nils ist für die Ernte des Urroggens auf dem Campus zuständig. Zusammen mit Lars und acht Azubis der Zimmerer Berufsschule aus Reutlingen erntet er das Feld in den nächsten Tagen ab. Das Getreide wird zwar ausgedroschen, teils verarbeitet und teils an die Tiere verfüttert. Mit dem Stroh werden aber viele Gebäude auf der Klosterbaustelle gedeckt. Das war schon vor 1.200 Jahren so, damals wurden selbst Kirchendächer mit den festen Halmen abgedeckt. Kein Wunder: Roggen hat einen hohen Ligninanteil, ist also besonders holzig. Schon unsere Urahnen hielten ihre Hausdächer und damit auch die Häuser mit Reet oder Strohdächern dicht.
Wie zwei Strohhalme ineinandergesteckt
Auch die Halmstruktur des Roggens ist perfekt fürs Hausdach. Nils packt einen Roggenhalm und versucht ihn zu knicken. Geht nicht so einfach, meint er. Wie zwei Strohhalme, die man zusammensteckt ist auch der Roggenhalm nicht so leicht zu knicken. So hielten die Strohdächer nicht nur Regen sondern auch starken Winden stand. Bis ins ausgehende Mittelalter gab es fast nur Strohdächer. Dann jedoch wurden sie verboten: Wegen der vielen Brandkatastrophen wurde das feuerempfängliche Strohdach aus vielen Städten verbannt.
Ur-Roggen besonders widerstandsfähig
Auf dem Campus Galli wird Urroggen gepflanzt. Das ist eine 7.000 Jahre alte Getreidesorte, die ursprünglich aus dem Vorderen Orient stammt. Da das Urgetreide früher oft auf Rodungsflächen gesät wurde, ist der Urroggen heute auch unter dem Namen Waldstaudenroggen oder Waldstaudenkorn bekannt. Die Pflanzen werden bis zu zwei Meter hoch und sind deshalb besonders unempfindlich gegenüber Krankheiten: Die Ähren sind weit vom Erdboden entfernt, sodass bei Regen aufgewirbelte Pilzsporen nicht so leicht auf die Frucht übergehen können.