Der Dudelsack hat in Deutschland eine lange Tradition. Trotzdem gibt es nur gut ein Dutzend Menschen im Land, die das Instrument herstellen können. Einer davon ist Andreas Rogge.
Seine Werkstatt steht in Rottenburg-Wendelsheim (Kreis Tübingen). Dort hat er zum Beispiel die Reutlinger Sackpfeife rekonstruiert, eine deutsche Variante des Dudelsacks aus dem Mittelalter. Zu seinem seltenen Handwerk kommt Rogge bei einem Besuch in Irland, wo ihn ein ganz spezieller Dudelsack-Klang gefesselt hat.
Menschliche Töne aus irischem Dudelsack
Tiefe Töne wummern melodisch durch die alte Fachwerk-Scheune im Rottenburger Teilort Wendelsheim. Hin und wieder saugt ein Blasebalg leise Luft an. Mit Gefühl drückt der Musiker diese mit dem Ellbogen in den Dudelsack, öffnet und schließt gleichzeitig kleine Löcher an der Melodiepfeife der Uilleann Pipe. So heißt der irische Dudelsäck im Gälischen. Die Wörter Uilleann für Ellbogen und Pipe für Pfeife machen schnell klar: Die Lunge hat bei diesem Dudelsack Ruhepause.
"Der Klang kommt der menschlichen Stimme nahe", sagt Andreas Rogge, der sein Lieblingsinstrument aktuell nicht selbst spielen kann. Schmerzen im Ellbogen. Sein Mitarbeiter Stefan Schwarz spielt. Rogge hört genau, wenn ein Ton quer sitzt. Seit 42 Jahren baut er Dudelsäcke und hat das seltene Handwerk in Deutschland mit aufgebaut. Denn den Beruf gab es damals überhaupt nicht.Ohne einen Urlaub in Irland, hätte der 68-Jährige ihn wohl auch nie für sich entdeckt.
Vom Psychologie-Student zum Dudelsack-Bauer
Als Rogge in Tübingen Psychologie studiert, hört er den irischen Dudelsack auf einer Platte. Im September 1979 reist er nach Irland, wo er Matt Kiernan, einen Musiker und Dudelsackbauer aus Dublin trifft. Von ihm lernt der Student, wie er die irischen Dudelsäcke baut. Um seinen Auslandsaufenthalt zu finanzieren, arbeitet Rogge in Kiernans Werkstatt.
Über drei Jahre hinweg verbringt Rogge immer wieder Zeit in Irland, um mehr über den Bau von Dudelsäcken zu erfahren. In der Tübinger Altstadt eröffnet er danach seine erste kleine Werkstatt, mit der er mehrmals umzieht. Heute hat er mitten in Wendelsheim eine Heimat für sich und seine Leidenschaft gefunden.
Langer Weg zur beruflichen Leidenschaft
Die Liebe zum Dudelsack hat Rogge schon als Kind gepackt: Noch in seiner Jugend in der ehemaligen DDR hört er eine Sackpfeife, fängt einige Jahre später an, selbst zu spielen. Zum Beruf möchte er die Musik damals aber nicht machen. In den 70er-Jahren macht er eine Ausbildung zum Krankenpfleger und arbeitet in einem Krankenhaus. Während dieser Arbeit überlegte er auch, ob er Medizin studieren solle.
“Ich habe mich während der Zeit mit dem Stationsarzt angefreundet und wir haben auch Musik zusammen gemacht. Er hat mich schon fast bekniet, dass ich was Musisches machen soll. Das war ein großer Einfluss”, sagt Rogge, der politisch so ganz andere Vorstellungen hatte als das DDR-Regime. Das bringt ihm einen Aufenthalt in Haft ein. Im Mai 1979 wird er entlassen und zieht nach Tübingen zu seiner Großmutter. Neue Aufgabe: Psychologiestudium an der Universität Tübingen.
Beruf muss für Rogge erfunden werden
Aber seine Erfahrungen in Irland, wo er während seiner Zeit in der DDR nie hingekommen wäre, lassen ihn bis heute nicht los. Im positiven Sinne, auch wenn seine Laufbahn im Handwerk schwierig beginnt: Nach der Eröffnung der Werkstatt muss Rogge einen Meister machen. Ohne Meisterbrief, keine eigene Werkstatt lautet die Regel damals.
Das Problem: Den Beruf Dudelsack-Bauer gibt es noch nicht. Eine Meisterprüfung legt er in allen Teilen ab, außer im praktischen. Mit der Handwerkskammer zusammen erarbeitet er eine Ausbildung für den Beruf "Instrumentenbauer mit Schwerpunkt Dudelsack".
Dudelsack mit Tradition in ganz Europa
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Dudelsack-Meister zahlreiche Uilleann Pipes gebaut. Und uralte, traditionelle Instrumente wiederbelebt. Denn im Mittelalter ertönt der Klang des Dudelsacks weit über Irland oder die schottischen Highlands hinaus. In Deutschland gab es sechs oder sieben verschiedene Varianten - wie die Reutlinger Sackpfeife. Sie kann Rogge auch mit schmerzendem Blasebalg-Arm spielen, weil die Luft dafür aus der Lunge kommt.
Rogge kann die Werkstatt weitergeben
Rogge lernt auch immer wieder Auszubildende an. Seinen Mitarbeiter Stefan Schwarz hat er ebenfalls ausgebildet. Mittlerweile arbeiteten die beiden seit zehn Jahren zusammen. "Ich habe mir so ein Arbeitsverhältnis niemals vorstellen können. Ich dachte, dass es sowas nicht gibt. Dass es eine Illusion ist, aber es ist Wirklichkeit", sagt Schwarz über seinen Lehrmeister und engen Freund.
In Rottenburg werden auch in Zukunft irische und andere europäische Dudelsäcke gebaut. Denn Schwarz wird die Werkstatt übernehmen. Aber Rogge kann es noch lange nicht lassen. "Mein Lehrmeister war schon 80, als ich von ihm gelernt habe. Er hat gearbeitet bis zum Schluss", sagt der 68-Jährige. Dudelsäcke bauen ist eben mehr als ein seltenes Handwerk. Für Rogge ist es die Passion fürs Leben.