Internationale Ausstellung in Tübingen

Statt Uni-Abschluss tot: Was der Ukraine-Krieg verhindert

Stand
Autor/in
Peter Binder
Peter Binder ist Reporter für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Eine weltweite Ausstellung ist jetzt in Tübingen zu sehen. Die Porträts zeigen junge Opfer des Ukraine-Krieges. Als sie noch studierten, waren sie voller Hoffnung und Zuversicht.

Die weltweite Wanderausstellung "Unissued Diplomas" wird in Tübingen am Dienstagabend mit einer Vernissage eröffnet - in der Unibibliothek. Der Ort ist bewusst gewählt. Denn dort gehen junge Menschen ein und aus, die wie die Porträtierten auf den Fotos studieren. Wie sie hoffen sie auf einen guten Uniabschluss, auf ein aktives, erfülltes Leben.

Den jungen Menschen auf den Schwarzweißfotos blieb der Abschluss verwehrt. Warum, das erklären die Texte neben den Bildern. Alle 40 Studierende sind im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestorben.

40 Lebensgeschichten aus der Ukraine

Die Texte verraten noch mehr über die Personen. Es sind kleine Details, die deutlich machen, wie viel Leid hinter den Todesfällen steckt, die von vielen oft nur noch als Zahlen wahrgenommen werden. Ein junger Mann zum Beispiel: Er hatte erst zwölf Tage vor seinem Tod geheiratet. Ein anderer wollte durch die Welt reisen, ein dritter liebte die Natur. Vierzig trauernde und traumatisierte Familien und Freundeskreise.

Junge Frau mit Brille neben einer Stellwand: Sie hat Studentinnen und Studenten in der Ukraine fotografiert, die später im Krieg gestorben sind. In Erinnerung an sie gibt es eine Ausstellung in Tübingen.
Das Foto rechts unten hat Marichka Nadverniuk in Friedenszeiten aufgenommen. Sie war voller Bewunderung dafür, dass der Forstwirtschafts-Student Semen ein "Baum-Doktor" werden wollte. Er starb mit 22 Jahren.

Marichka Nadverniuk, die inzwischen in Tübingen studiert, hat einige der Fotos aufgenommen. Sie waren Teil eines ukrainischen Bildungsprojekts. Sie hat die Fotos in neuem Zusammenhang wiedergefunden: Nun sind sie Bilder von Getöteten. Für sie war die Erkenntnis berührend und niederschmetternd zugleich, sagt sie. Seitdem fotografiere sie nicht mehr.

Persönliche Erinnerungen an Kriegsopfer

Sie kann besonders persönliche Geschichten von den Getöteten erzählen, denn mit einigen war sie befreundet. Einer der Studenten schickte ihr oft Gedichtzeilen auf das Smartphone - anstatt Memes oder Witzen aus dem Internet. Ein anderer rettete grundsätzlich Insekten, die er auf dem Weg fand, indem er sie beiseite trug.

Wenn man hier in der Ausstellung steht, sich diese Bilder anguckt und die kurzen Biografien liest. Und dann stellt man plötzlich fest, dass diese Menschen alle umgekommen sind, dann ist das auf sehr bedrückende Weise sehr eindrucksvoll.

Professor Klaus Gestwa deutet auf ein Foto auf der Stellwand. Darauf ist eine junge Frau zu erkennen, die Landschaftsarchitektur studierte, mit ihren zwei Zwillingen. Sie drei sind im Krieg in der Ukraine gestorben.
Einige der Todesopfer sind nicht im Kampf gefallen, sondern wurden etwa in Wohnhäusern durch russische Angriffe getötet. So auch die junge Frau mit ihren kleinen Zwillingen, auf die Klaus Gestwa zeigt. Er ist Direktor des Instituts für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Uni Tübingen.

Nicht alle Studierenden, deren Porträts die Ausstellung zeigt, sind als Soldaten gestorben. Auf einem Bild ist eine junge Frau mit ihren kleinen Zwillingen zu sehen. Sie wollte Landschaftsarchitektin werden. Alle drei starben, als ihr Wohnhaus von zwei russischen Fliegerbomben getroffen wurde.

Diese Ausstellung soll den Leuten zeigen, dass der Preis für den Frieden in Europa, für den Frieden in der Ukraine, für das Gewinnen der Ukraine, nicht in Millionen Euro zu messen ist, nicht in der Anzahl von gelieferten Waffen. Der Preis ist das Leben von Menschen. Die haben Wünsche, die haben Geschichten, die haben Träume.

Die Ausstellungsmacher hoffen, dass die Bilder dazu beitragen, die Erinnerung an die Toten zu bewahren. Und dass die Trauer, die sie auslösen, zu mehr Mitgefühl und Hilfsbereitschaft für die Ukraine führt.

Im Foyer der Universitätsbibliothek Tübingen

Die Ausstellung ist bis 29. Mai 2024 im Foyer der Universitätsbibliothek zu sehen. Sie kann immer während der Öffnungszeiten besichtigt werden. Danach soll sie in Stuttgart gezeigt werden.

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