Dort, wo einst die Synagoge stand, feiert Buttenhausen (Kreis Reutlingen) am ersten September den Europäischen Tag der jüdischen Kultur. An das frühere Gotteshaus erinnert heute ein Gedenkstein. Der heutige Teilort von Münsingen wurde lange von Juden geprägt. Wer mit Eberhard Zacher durch die Gemeinde geht, merkt das schnell. An fast jeder Ecke erzählt der 85-Jährige eine Geschichte der Buttenhausener Juden. Diese wurden lange verschwiegen, doch der pensionierte Geschichtslehrer hat viele davon wieder ausgegraben.
Heute gibt es in Buttenhausen keine Juden mehr
"Die Synagoge mussten sie zweimal anzünden. Beim ersten Mal waren sie viel zu besoffen und die Feuerwehr konnte den Brand löschen", beschreibt Zacher die Ereignisse der Reichspogromnacht 1938 in Buttenhausen. Heute leben in der Gemeinde keine Juden mehr. Wer noch konnte, floh. 44 Jüdinnen und Juden wurden deportiert und starben in Konzentrationslagern oder auf dem Weg dorthin. Wie an so vielen Orten endete durch die Nazis auch die Geschichte der jüdischen Landgemeinde Buttenhausen.
Juden suchen und finden Schutz in Buttenhausen
Dabei kamen schon die ersten jüdischen Familien 1787 nicht ganz freiwillig auf die Schwäbische Alb. Damals galt noch ein Jahrhunderte altes Testament des Herzogs und Gründers der Tübinger Universität, Eberhard im Bart, dass sich Juden nicht in Württemberg niederlassen dürfen. "Und da waren die Menschen froh, wenn ihnen ein Freiherr Schutz angeboten hat", sagt Zacher. Genau das tat der Freiherr von Liebenstein, der im 18. Jahrhundert über Buttenhausen herrschte.
Anfangs lebten die Buttenhausener Juden und die christlichen Einwohner noch streng getrennt. "Wenn wir hier über die Brücke über die Lauter gehen, kommen wir ins damalige jüdische Ghetto", sagt Zacher. Der pensionierte Geschichtslehrer braucht keine Zettel, wenn er die Geschichten erzählt. Er hat sie im Kopf.
Zacher kennt fast jede Lebensgeschichte der Juden
Bei fast jedem Haus weiß der 85-Jährige, wer dort wohnte, welchen Beruf er oder sie hatte, wie die Menschen gelebt haben. Teilweise hat er selbst die Stolpersteine als Erinnerung an sie vor den Häusern angebracht. Zum Europäischen Tag der jüdischen Kultur gibt es zwei neue Steine in Buttenhausen. Sie erinnern an Berthold und Dora Maier, die eine Viehhandlung betrieben. "Sie sind beide im letzten Transport im Oktober '42 nach Theresienstadt gekommen", sagt Zacher. Wenige Monate später starben beide im dortigen Konzentrationslager.
Den kurzen steilen Anstieg zum Gedenkstein für die Synagoge geht Zacher mit festem Schritt recht locker hoch. Sein Alter ist dem Engstinger nur anzumerken, wenn er von seiner Kindheit in der rheinland-pfälzischen Stadt Worms und der Nachkriegszeit in Tübingen spricht. Nur wenige Meter weiter oben befindet sich der jüdische Friedhof mit gut 400 Gräbern. "Das ist eigentlich der einzige Grund, warum Nachfahren hierher kommen. Um ihren Toten zu gedenken", sagt Zacher, der mit vielen von ihnen in Kontakt steht.
Buttenhausener Juden: "Eine fast vergessene Erfolgsgeschichte"
Fast 150 Jahre herrscht in Buttenhausen Zacher zufolge ein "gutes Miteinander zwischen Juden und Christen". Der kleine Ort wird aufgrund von neuen Geschäften sehr wohlhabend. Es gab sogar eine zu dieser Zeit eher seltene Realschule in Buttenhausen. Für Historiker Zacher eine Erfolgsgeschichte jüdischen und christlichen Zusammenlebens, die nach dem Krieg gerne verschwiegen wurde.
Geschichte Deutsche Erinnerungskultur – Blinde Flecken der Aufarbeitung
In Deutschland sieht man sich gerne als "Erinnerungsweltmeister". Doch der wachsende Rechtsextremismus ist auch ein Hinweis darauf, dass in der deutschen Erinnerungskultur etwas fehlt.
Exkursion nach Buttenhausen bringt Zacher zum Thema
Der Engstinger gräbt sie seit 50 Jahren wieder aus. Damals machte er mit einer Handvoll Schülern eine Exkursion nach Buttenhausen. "Aber über jüdische Kultur wollte keiner mit uns sprechen. Zufällig haben wir aber die Frau von Walter Ott getroffen", sagt Zacher heute. Der habe sich damals um den jüdischen Friedhof gekümmert und habe selbst schon einige Lebensgeschichten recherchiert gehabt.
Mit den Aussagen von Ott konnten Zacher und seine Schüler damals ihre Arbeit über die jüdische Landgemeinde Buttenhausen schreiben. "Aber wenn ich heute darauf gucke, wussten wir eigentlich gar nichts", so der 85-Jährige. Gemeinsam mit Ott sammelt er über die Jahrzehnte immer mehr Briefe aus Konzentrationslagern, Sterbeurkunden und die Lebensgeschichten der Buttenhausener Juden.
"Lass uns doch mit den Juden in Ruhe"
Vor knapp zehn Jahren ist Ott verstorben, Zacher hält seine Totenrede. Weil sie gute Freunde wurden, aber auch weil Walter Ott zeitlebens angefeindet wurde, so Zacher: "Da haben schon einige gesagt, lass uns doch mit den Juden in Ruhe." Den Engstinger hat das nie abgeschreckt. Für ihn gehört die Erinnerung zur Aufarbeitung dazu. Im Geschichtsverein Münsingen, der vor fast genau 20 Jahren gegründet wurde, kümmert er sich federführend um die Buttenhausener Juden.
Seine Recherchen haben Zacher das Bundesverdienstkreuz eingebracht. Trotz der Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Buttenhausen sieht er heute aber noch Problematisches. Laut Zacher leben die Nachfahren auf einem geklauten oder geraubten Wohlstand.
Zacher möchte Antisemitismus entgegenwirken
Heute gehen die Menschen mit dem Thema jedoch deutlich besser und offener um, meint Zacher. Auch wenn er nicht versteht, dass Antisemitismus wieder salonfähig geworden ist. Mit seiner Arbeit möchte er dem entgegenwirken. Doch auch er wird kürzer treten, was bei seinem Alter von 85 Jahren verständlich ist. Dann müssen andere die Geschichte der Buttenhausener Juden erzählen.