Die Bilder gingen vor zwei Jahren um die Welt: Verzweifelte Gesichter und dichtes Gedränge im und um den Flughafen von Kabul. Die Taliban hatten zuvor die Macht in Afghanistan übernommen. Tausende sogenannter Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder in der Entwicklungshilfe arbeiteten, sollten nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden.
Regionalgruppe des Netzwerks in Calw hilft bei der Integration
Allein das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte e.V. hat seit 2021 bis heute bundesweit 645 Ortskräfte und ihre Familien evakuiert. Ist das geschafft, helfen hier Paten, zum Beispiel aus der Regionalgruppe Calw. Sie unterstützen bei Behördengängen, Sprachkursen, der Wohnungs- oder Arbeitssuche - also der Integration. Jedoch warten noch immer viele unter Lebensgefahr in Afghanistan auf die Ausreise. Das ist besonders für die afghanischen Frauen gefährlich.
Bedrohte Frau schildert ihre Lage im SWR
Eine junge Frau - nennen wir sie Fatima - berichtet am Telefon über ihr Leben. Fatima wurde als 15-Jährige verheiratet, bekam einen Sohn und ließ sich entgegen aller gesellschaftlichen Zwänge scheiden. Wie üblich, verlor sie dadurch ihren Sohn an ihren Ex-Mann. Sie studierte Germanistik, arbeitete für eine Nichtregierungsorganisation und setzte sich für Frauen in ähnlicher Situation ein. Außerdem nahm sie an Demonstrationen teil. Seit die radikalislamischen Taliban wieder das Sagen haben, wird das Leben insbesondere für Frauen immer weiter eingeschränkt. Sie dürfen sich nicht in Parks oder auf öffentlichen Plätzen aufhalten. Sie sind vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Wenn sie sich außer Haus bewegen, müssen sie von einem männlichen Verwandten - Mahram genannt - als "Aufpasser" begleitet werden.
In Afghanistan wie im Gefängnis eingesperrt
Fatima erzählt am Telefon, dass alles in Afghanistan für Frauen wie sie sehr gefährlich ist. Sie könne kaum mehr das Haus verlassen, geschweige denn einem Beruf nachgehen. Ihre Schwester weine sehr viel, weil sie nicht zur Schule darf. Es sei wie in einem Gefängnis, sagt sie verzweifelt.
Als sie wegen akuter Zahnschmerzen doch ohne männliche Begleitung im Taxi zum Zahnarzt unterwegs war, wurde der Wagen angehalten. Sie wurde misshandelt, weil sie alleine war und einem Taliban auch ihre Verschleierung nicht reichte, erzählt Fatima. Sie habe einen langen Mantel getragen, die Haare bedeckt und eine Maske. Man habe nur die Augen sehen können, erzählt Fatima. Der erboste Taliban habe sie aber mit seiner Pistole geschlagen.
Deutschland erkennt Fatima als Gefährdete an
Ebenso wie die sogenannten Ortskräfte erkennt Deutschland Fatima aufgrund ihrer früheren Tätigkeiten als gefährdete Person an. Seit letztem Herbst hat sie eine Aufnahmezusage von Deutschland für sich und ihre Familie. Um die notwendigen Pässe für alle bezahlen zu können, musste die Familie ihr Haus mit sämtlichen Möbeln verkaufen. Die offiziellen Preise des Pass-Amtes gelten nicht. In ihrem Fall wurden willkürlich 6.000 Euro verlangt, sagt Fatima. Sie habe kein Geld und kein eigenes Dach mehr über dem Kopf. Fatima lebt versteckt bei der Familie ihres Onkels, sie sind zu elft.
Endlose Hürden und kein Land in Sicht
Der Plan war, dass die Familie über den Iran nach Deutschland ausreist. Unter widrigen Umständen konnte Fatima iranische Visa bekommen. Die sind jetzt jedoch wertlos, da der Iran die Grenzen dicht gemacht hat. Die noch verbleibende Möglichkeit ist, über Pakistan auszureisen. Das heißt zunächst: Fatima braucht jetzt Visa für Pakistan. Das ist nicht nur zermürbend, sondern auch lebensgefährlich. Denn wer Pass oder Visum beantragt, der offenbart, dass er Kontakt zum Ausland sucht. Damit gilt man für die Taliban als Verräter.
Die Verzweiflung wächst
Wegen Sicherheitsbedenken hatte die Bundesrepublik das Aufnahmeprogramm für gefährdete Afghanen und Afghaninnen zwischen März und Juni ausgesetzt. Seit es offiziell wieder gestartet ist, hat es aber laut Hilfsorganisationen nicht eine einzige Einreise nach Deutschland gegeben. Um sich und ihre Familie zu retten, muss Fatima erstmal heil über die pakistanische Grenze kommen. Dann stünde in der deutschen Botschaft in Islamabad ein mehrstündiges Interview an. Trotz Aufnahmezusage könnte die Botschaft aber die Einreise nach Deutschland ohne Begründung ablehnen, berichtet Lena Reiner vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte. Die Frauenbeauftragte des Vereins war mehrfach in Afghanistan und unterhält weiter gute Kontakte dorthin.
Patenschaftsnetzwerk klärt auf und unterstützt
Lena Reiner arbeitet für das Patenschaftsnetzwerk in ganz Süddeutschland, und klärt die afghanischen Frauen von Friedrichshafen bis Calw nach ihrer Einreise insbesondere über ihre Rechte in Deutschland auf. Rechte, die es in Afghanistan so nie gab und unter den Taliban schon gar nicht gibt. So berichtet Lena Reiner, dass die radikal-islamischen Herrscher jetzt auch noch die Schönheitssalons dicht gemacht haben. Das mache die Situation für die afghanischen Frauen noch prekärer, denn die Salons waren ein letztes Refugium, in dem die Frauen noch unter sich sein konnten. Von den Schönheitssalons aus seien zum Beispiel auch immer wieder Demonstrationen organisiert worden, sagt Lena Reiner. Sie seien ein wichtiger politischer Ort für die Frauen gewesen.
Warten, Bangen und Hoffen
Fatima muss indes weiter unter Lebensgefahr in Afghanistan ausharren. Ihr bleibt nur eine Hoffnung: dass die Ausreise nach Deutschland über Pakistan gelingt. Das sei ihr Traum, sagt sie am Ende des Telefonats. Und fügt an: "In Afghanistan habe ich nichts."