Verfahren um Tötung von Familienmitgliedern in Hohentengen - das Gericht muss über Sicherungsverwahrung des psychisch Erkrankten entscheiden

Wahnvorstellungen trieben ihn an

Jugendlicher tötet drei Familienmitglieder: Er leidet an Schizophrenie

Stand
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Vanessa Amann
Autor/in
Petra Jehle
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Ein 19-Jähriger soll in Hohentengen seine Eltern und seinen Bruder im Wahn getötet haben. Laut Gutachter soll er die Vorstellung gehabt haben, dass seine ganze Familie vom Teufel besessen war.

Wir wissen nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Das ist am vierten und vorletzten Verhandlungstag vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen immer wieder zu hören: Von Gutachter, Verteidiger, Nebenklägerin und Staatsanwalt. Vor Gericht steht ein 19-Jähriger, weil er seine Eltern und seinen Brüder getötet haben soll. Seine Schwester überlebte schwer verletzt. Der junge Mann habe laut Gutachter Wahnvorstellungen gehabt und sei davon überzeugt gewesen, dass seine Familie vom Teufel besessen war.

Unterbringung in einer Psychiatrie beantragt

Ihm wird dreifacher Totschlag vorgeworfen und im Fall der Schwester versuchter Totschlag. Er soll seine Opfer im Mehrfamilienhaus in Hohentengen (Kreis Waldshut) im März 2024 mit einem Messer unvermittelt attackiert und mit unzähligen Messerstichen getötet haben. Weil der Angeklagte laut Gutachter schuldunfähig ist, wurde er von der Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen nicht nach Strafrecht angeklagt, sondern in einem Sicherungsverfahren. Dabei geht es um die Unterbringung in einer Psychiatrie.

Nachbarn schildern dramatische Szenen

Am Montagvormittag ging es vor Gericht um das psychologische Gutachten und um die Zeugenaussagen von zwei Nachbarn. Bei ihnen hatte in der Tatnacht die schwer verletzte Schwester geklingelt und um Hilfe gebeten. Danach soll der 19-Jährige wie von Sinnen gewesen sein. Immer wieder habe er auf seine am Boden liegende Schwester eingestochen und diese habe ihren Bruder gefragt: Warum machst Du das?

Gutachter spricht von Wahnvorstellungen

Eine mögliche Erklärung lieferte der Gutachter, der den 19-Jährigen mehrfach untersucht hat. Er diagnostizierte eine schwere Psychose, eine Schizophrenie. Zwar bereue der Beschuldigte seine Tat, sagte der Gutachter. Gleichzeitig sei er davon überzeugt, dass er seine Familienangehörigen habe töten müssen. Er habe Wahnvorstellungen gehabt und Stimmen des Teufels gehört.

Vorstellung: Bruder sei Teufel Luzifer

Der 19-Jährige habe seinen Bruder für den Teufel Luzifer, gehalten. In seinen Vorstellungen sei die ganze Familie vom Teufel besessen gewesen. Der 19-Jährige schildert nur wage, dass seine Familie und er sehr religiös seien. Zuletzt habe er häufig in einem "Büchlein" des Heiligen Pater Pio gelesen. Er bete jeden Tag zu Gott, sagt er im Gericht.

Ein Mann sitzt im Landgericht Waldshut-Tiengen, er ist von hinten zu sehen.
In dem Verfahren um den tödlichen Messerangriff von Hohentengen geht es um die Frage, ob der 19 Jahre alte Beschuldigte dauerhaft in eine Psychiatrie kommt.

Nachbarn und Familienangehörige machen sich Vorwürfe

Eine Woche vor der Tat berichten Angehörige und Freunde von starken Wesensveränderung und extremen Stimmungsschwankungen des Jugendlichen. Sie hatten sich Sorgen gemacht, waren allerdings mit der Situation überfordert. Der 19-Jährige war mal freundlich, mal aggressiv und nicht mehr zugänglich. Der Psychiater erklärte dazu, dass die Situation für Laien und selbst für Experten nur schwer einzuschätzen sei und er selbst im Nachhinein nicht sagen könnte, welche Reaktion adäquat gewesen wäre. Dem Ausbruch im März waren bereits mehrere kleine Zwischenfälle vorausgegangen. Laut Zeugen soll der Jugendliche das erste Mal nach übermäßigem Drogenkonsum auf einer Veranstaltung in Zürich (Schweiz) die Stimme des Teufels gehört haben.

Konsum von Cannabis spielt keine entscheidende Rolle

Der Cannabiskonsum des 19-Jährigen lässt sich bis in die achte Klasse zurückverfolgen. Die letzten zwei Jahre habe er eigentlich nur noch gekifft, sagt er selbst im Gerichtssaal. Doch das ist nicht der Grund für die Psychose, sagt der Gutachter. Die diagnostizierte Schizophrenie wäre auch ohne den starken Cannabiskonsum ausgebrochen, sie sei genetisch bedingt. Der starke Cannabiskonsum habe den Ausbruch allerdings beschleunigt und das sei in jungen Jahren deutlich schwerwiegender.

Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.

Obwohl der Beschuldigte seit seiner Festnahme im März mit verschiedenen Psychopharmaka behandelt wird, sei kaum eine Besserung seines Zustandes zu beobachten, so der Gutachter. Auch ein halbes Jahr nachdem seine Behandlung begonnen habe, könne sich der 19-Jährige nicht öffnen und rede kaum über das, was in seinem Kopf vorgehe. Laut Gutachter habe der 19-Jährige bis heute nicht begriffen, was er getan habe.

Gefahr besteht weiter

Staatsanwalt, Verteidiger und Nebenklägerin haben in ihren Plädoyers die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt. Die Tat sei als Totschlag beziehungsweise versuchter Totschlag zu werten, sagen sie. Weil nicht auszuschließen sei, dass der 19-Jährige seine Wahnvorstellung auf eine andere Person projiziere, müsse er in einer Psychiatrie untergebracht und die Allgemeinheit vor ihm geschützt werden.

Fassungslosigkeit bei Ermittlern und Anwälten

Er habe in 30 Jahren als Anwalt noch nie so viel Blut an einem Tatort gesehen, so der Verteidiger in seinem Plädoyer. Sein Mandant sei getrieben gewesen von der Wahnvorstellung, dass die Familie vom Teufel besessen war und er sie vernichten müsse. Auch die Anwältin der Nebenklage, die beide Schwestern und eine Tante vertritt, sprach von Bildern, die ihre Mandantinnen nieder wieder loslassen werden.  

Regungslos bis zum Ende des Verhandlung

Der Beschuldigte verfolgte sein Verfahren weitgehend regungslos, fast apathisch. Auch als der Richter ihm die Gelegenheit zum Schlusswort gab, sagt er nur leise und kurz, dass er nichts weiter zu sagen habe. Mit Fuß- und Handschellen wurde er aus dem Gerichtssaal geführt. Eine Entscheidung des Gerichts wird am Freitag erwartet.

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