Der Fall schlägt seit Wochen hohe Wellen: In der evangelikalen Privatschule "Hof Oberkirch" im schweizerischen Kaltbrunn sollen Kinder in den 1990er-Jahren bis Anfang der 2000er misshandelt worden sein. Die Schule wurde vom ehemaligen Chef des Schokoladenherstellers Läderach, Jürg Läderach, mitbegründet. Diese Einrichtung pflegt offenbar enge Kontakte zu einer evangelischen Gemeinschaft in Lindach, einem Stadtteil von Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis).
Die heute jungen Erwachsenen äußern sich erstmals zu den Vorwürfen - unter anderem in der Dokumentation des Schweizer Fernsehens (SRF) mit dem Titel "Die evangelikale Welt der Läderachs - Züchtigung im Namen Gottes".
Mutmaßliches Opfer berichtet von Vergewaltigung
Erstmals berichtet Kelly G., ein mutmaßliches Opfer, dass sie als zwölfjährige Schülerin an der evangelikalen Privatschule von einem Lehrer vergewaltigt worden sei. Der Lehrer habe sie unter der Dusche sexuell missbraucht. Als sie der Schulleitung die Vergewaltigung offenbarte, glaubte ihr niemand. Stattdessen flog Kelly G. von der Schule.
Kelly G. ist in Brasilien geboren. Als kleines Mädchen wurde sie gemeinsam mit ihrem Bruder von einem Schweizer Paar adoptiert. Mit elf Jahren kam sie nach Kaltbrunn in die evangelikale Privatschule.
Läderach streitet Vorwürfe ab
Chocolatier Jürg Läderach wird in der SRF-Doku beschuldigt, auch selbst Kinder geschlagen zu haben. Er bestreitet das vehement - hat sogar eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, äußerte Bedauern über das, was an der Schule passiert sei. Auch sein Sohn Johannes Läderach besuchte damals die evangelikale Privatschule. Seit 2018 leitet er das Schokoladengeschäft der Familie. In Interviews zeigte er sich erschüttert über die Vorwürfe. "Das geht mir sehr nah, der seelische und körperliche Missbrauch geht gegen alles, woran ich glaub und was mir wichtig ist", so Johannes Läderach.
Unternehmen fürchtet um Ruf
Das Zurich Film Festival hat als Reaktion auf die SRF-Doku die Sponsorenpartnerschaft mit Läderach gekündigt. Zu seinem Vater geht der heutige Läderach-Chef auf Distanz. Das Unternehmen fürchtet um seinen Ruf. Die Schweizer Bundesbahnen SBB haben Ausflugsangebote zu Läderachs Schokoladenmuseum gestoppt. Der Skandal lasse die mit viel Aufwand aufgebaute Trennwand zwischen Person und Unternehmen einbrechen, zitierte die "Neue Zürcher Zeitung" einen Marktexperten und fragte: "Ist nun die Läderach-Expansion in die USA gefährdet?"
Keine Äußerung zu Folgen der Doku
Auf Anfrage des ARD-Studios Genf wollte sich das Unternehmen nicht zu den Folgen der SRF-Doku äußern - und verwies auf ein Statement des Firmensprechers Matthias Goldbeck auf der Läderach-Homepage. Darin heißt es: "Bitte bewerten Sie das Unternehmen nach der Leistung der heutigen Generation, der mittlerweile 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit."
Einige Beschäftigte hätten nach den Anschuldigungen gegen den früheren Firmenchef gekündigt, berichteten Schweizer Medien. Und in manchen Schweizer Filialen setze Läderach nun Sicherheitspersonal ein.
Privatschule in Kaltbrunn pflegt offenbar Kontakte nach Schwäbisch Gmünd
Die Verantwortlichen auf dem "Hof Oberkirch" in Kaltbrunn bemühen sich um ein neues Image, jenseits von Missbrauch und Schlägen. Doch noch immer ist es eine wenig transparente Welt. Die evangelikale Privatschule pflegt nach Medienberichten enge Kontakte zur Freien Evangelischen Gemeinschaft in Schwäbisch Gmünd-Lindach. Gegenseitige Gottesdienstbesuche stehen demnach auf der Tagesordnung. Auch die Prediger tauschen sich wohl intensiv aus.
In einer frei zugänglichen Predigt aus Lindach wird ein haarsträubendes Kinderbild ans Tageslicht befördert: "Das müssen wir uns klarmachen, dass wir keine Engel geboren haben, sondern dass wir Kinder geboren haben, die in die Hölle fahren, wenn sie sich nicht ändern." Inwiefern die Gemeinschaft in Lindach von den Vorgängen in Kaltbrunn wusste, ist bisher noch unklar.
Ex-Chocolatier Jürg Läderach, Mitbegründer der evangelikalen Schule, soll sogar selbst gepredigt haben. Mittlerweile sind aber sämtliche Predigten aus dem Netz verschwunden und der Zugang ist gesperrt.