Kernkraft ist wieder im Gespräch und gewinnt - zumindest bei den deutschen Nachbarn - an Bedeutung. In Frankreich werden neue Atomkraftwerke (AKW) geplant und auch in der Schweiz gibt es eine politische Initiative, die genau das vorantreibt. Mit Folgen für die Menschen in Baden-Württemberg: Denn der Großteil der Schweizer Atomanlagen steht an der Grenze am Hochrhein bei Waldshut-Tiengen.
Wenn Isabella Barthelmess aus dem Fenster schaut oder auf ihre Terrasse geht, hat sie ihn immer im Blick: den riesigen Kühlturm und die weiße Dampffahne des Schweizer Atomkraftwerks Leibstadt. Dogern (Kreis Waldshut) hat etwas mehr als 2.000 Einwohner und liegt auf der anderen Rheinseite des Kraftwerks. Über die Zeit haben sich die Menschen an das Kraftwerk vor der Haustür gewöhnt. Sicherheitsbedenken hat Isabella Barthelmess nicht.
Auch Dogerns Bürgermeister Fabian Prause (parteilos) spricht im Interview mit SWR Aktuell von einer vertrauensvollen und guten Zusammenarbeit mit der Kraftwerksleitung. "Wir werden immer informiert, auch über meldepflichtige Ereignisse", sagt Prause. "Ich hoffe, aber gehe auch davon aus, dass die Schweizer hier mit offenen Karten uns gegenüber spielen."
Laufzeit von bis zu 80 Jahren nicht ausgeschlossen.
Bei seinem Bau war für das Atomkraftwerk Leibstadt eine Betriebszeit von 40 Jahren geplant. Das ist in diesem Jahr 40 Jahre her. Das AKW wird Stand jetzt aber mindestens noch 20 Jahre weiterlaufen. Das ist möglich, weil die Schweiz die Laufzeiten der AKW nicht begrenzt. Sie dürfen so lange am Netz bleiben, wie sie die Sicherheitsanforderungen erfüllen. Bernd Mücke, der stellvertretende Leiter des AKW Leibstadt, spricht in dem Zusammenhang von Investitionen in Milliardenhöhe. Das Schweizer Anlage sei auf dem neusten Stand der Technik, sagt Mücke.
Verbot für den AKW-Neubau soll kippen
Derzeit wird ein Drittel des Strombedarfs der Schweiz durch Kernkraft abgedeckt. Im Winter muss das Land Strom importieren. Die Schweiz sei auf Atomstrom angewiesen, sagen Verfechter der Kernkraft, wie Christian Wasserfallen. Er ist Nationalrat der liberalen FDP und unterstützt eine groß angelegte Initiative, die durch eine Volksabstimmung das bestehende Bauverbot für neue AKW in der Schweiz kippen will.
Er argumentiert mit der Stromlücke, die nach dem Wegfall der bestehenden Atomkraftwerke noch größer würde. Erneuerbare Energien aus Wind und Sonne sind für ihn keine Alternative. Er glaubt, dass niemand Windturbinen und Photovoltaik in den Alpen bauen werde. Deshalb sei der Neubau eines AKW die einzige Alternative.
Mögliches neues AKW ebenfalls am Hochrhein?
Als Standort für ein neues AKW ist schon jetzt das deutsch-schweizer Grenzgebiet, der Hochrhein, im Gespräch. Hier stehen bereits jetzt die meisten nuklearen Anlagen der Schweiz: Neben Leibstadt steht in Beznau eines der ältesten Atomkraftwerke der Welt. Es gibt das Zwischenlager für den Atommüll in Würenlingen und in Stadel wird derzeit das Schweizer Endlager geplant. Auch das soll unmittelbar in Rheinnähe gebaut werden.
Kritik an Ballung der Atomanlagen am Hochrhein
Für Atomkritikerinnen und -kritiker ist eine solche Ansammlung von Atomanlagen auf engem Raum gefährlich. Ulrich Faigle, der Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz am Hochrhein, spricht von 400.000 Menschen plus dem Bodenseegebiet, die im Falle eines Atomunfalls betroffen wären. Er würde sich wünschen, dass die Nachbarn in der Schweiz ihre Atomanlagen möglichst schnell ganz abschalten würden. Nicht nur wegen der Sicherheitsbedenken, auch weil längere Laufzeiten und neue Kraftwerke auch mehr Atommüll bedeuten.