Eltern sind verzweifelt

Aus für "Häusliche Kinderkrankenpflege": Wer pflegt schwerbehinderte Kinder?

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Autor/in
Maxim Flößer
Maxim Flößer arbeitet im SWR Studio Stuttgart.

Der Verein "Häusliche Kinderkrankenpflege" aus Stuttgart ist ab Oktober geschlossen - ein Schock für Eltern schwerbehinderter Kinder. Die Malteser versuchen, die Lücke zu füllen.

In Stuttgart muss die "Häusliche Kinderkrankenpflege e.V." (HKP) nach 33 Jahren schließen. Eltern, deren schwerbehinderte Kinder von der HKP betreut wurden, sind fassungslos. Die Malteser versuchen nun eine Ersatzlösung anzubieten.

Mutter von schwerbehindertem Kind: "Gesetz ist eine Katastrophe"

Eine der Betroffen ist Gabriela Püschel. Vor dem Gespräch mit dem SWR betont sie, wenig Zeit zu haben. 15 Minuten lang kann sie am Telefon sprechen, dann muss sie sich wieder um ihre schwerbehinderte Tochter kümmern. "Alles in unserem Leben ist um meine Tochter getaktet", sagt die Mutter dreier Kinder. Ihr zwölfjähriges Mädchen kam mit einem Gen-Defekt zur Welt, hat seit Geburt eine schwere Epilepsie. "Sie kann nicht sprechen, nicht sitzen". Ihr Kopf muss die ganze Zeit gestützt werden. Auch selbstständig essen kann die Tochter nicht. Ernährt wird sie über eine Magensonde.

Ohne den Pflegedienst könnte sie das alles gar nicht leisten, sagt Gabriela Püschel. Zehn Jahre lang wurde ihre Tochter von einer Pflegerin der HKP betreut. Medikamente, Wickeln - die Pflegerin war überlebenswichtig für das schwerbehinderte Kind. Mehrmals die Woche kam sie zu ihnen nach Hause. "Sie kennt meine Familie und meine Tochter in- und auswendig", sagt Püschel und fragt sich, wie es nun weitergeht. Denn seit dem 30. September gibt es die HKP nicht mehr.

Intensivpflege-Gesetz: Nur noch qualifizierte Pflegedienste

Dafür gibt es zwei Gründe, zum einen das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, kurz IPReG. Auf den Weg gebracht wurde das Gesetz bereits 2020 vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Das Gesetz hatte das Ziel, die Intensivpflege zu verbessern. Dafür sollten Pflegebedürftige besser versorgt, Fehlanreize beseitigt und die Selbstbestimmung der Betroffenen gestärkt werden. Ein weiterer Baustein des Gesetzes war die gezielte Verbesserung der außerklinischen Intensivpflege durch private Träger und Vereine. Laut Gesetzestext sollen nur noch "qualitätsgeprüfte Pflegedienste" eine außerklinische Intensivpflege anbieten dürfen.

"Eigentlich ist das eine gute Sache gewesen", sagt Thomas Albrecht, Vorsitzender der HKP, im SWR. "Das Problem war aber, dass die mit dem Gesetz ergänzten Anforderungen sich vor allem auf die Altenpflege beziehen", meint Albrecht - nicht aber auf die Umstände der Pflege von schwerbehinderten Kindern und Jugendlichen. Durch das Gesetz hätten die Pflegekräfte zusätzliche Schulungen absolvieren müssen, obwohl die Inhalte gar nichts mit der Arbeit der HKP zu tun gehabt hätten. sagt Albrecht. Doch ohne die Schulungen hätte die HKP ab Juli 2024 auf die nicht voll qualifizierten Aushilfskräfte verzichten müssen. Dadurch wäre der Personalmangel noch deutlicher geworden als er ohnehin bereits war, sagt Albrecht.

Als ein Beispiel für die neuen Anforderungen nennt Albrecht das richtige Beatmen von Patientinnen und Patienten. Demnach hätten die Aushilfs-Pflegekräfte der HKP dafür zeitintensive Fortbildungen besuchen müssen - das hätte aber den Rahmen der Möglichkeiten der HKP gesprengt, so Albrecht. "Wir waren angewiesen auf diese Kräfte, denn bei uns ging es darum, kurze Dienste anzubieten und vor allem die Eltern so fit zu kriegen, dass sie ihre Kinder weitestgehend selbst pflegen können". Eine wichtige Aufgabe, betont Thomas Albrecht. Denn wie eine Befragung von Pflegekräften im Auftrag des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration zeigt, ist besonders die Intensivpflege in Baden-Württemberg unzureichend abgedeckt.

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AOK: Aus der Häuslichen Kinderkrankenpflege war vermeidbar

Obwohl das Bundesgesetz bereits am 1. Juli 2023 in Kraft getreten ist, galten bis Juli dieses Jahres Übergangsregelungen für kleinere Pflegedienste wie die HKP. Darunter fällt auch die Finanzierung der Dienste durch die Krankenkassen. Im Rahmen des Gesetzes müssen Pflegeeinrichtungen Verträge mit den Krankenkassen aushandeln, in denen die Übernahme der Kosten geregelt wird.

In Baden-Württemberg verhandelt die AOK stellvertretend für alle Kassen. Und dabei habe man schwere Verhandlungen gehabt, sagt Thomas Albrecht. Das habe auch daran gelegen, dass die HKP kein Pflegedienst sei, der lange, aber wirtschaftlich rentable Pflege-Schichten anbot.

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Die Pflegereform vereinheitlichte einige Pflegeberufe. Damit sollte dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Es fehlt aber an Bewerbern - und an spezialisierten Fachkräften.

Stattdessen habe man sich auf kurze Pflegeeinsätze und die Fortbildung der Eltern fokussiert, die häufig am absoluten Limit sind. "Und dieser besondere Aufwand hat sich nicht in dem widergespiegelt, was die Kasse bereit war, für uns auszugeben", so Albrecht. Dabei sei die HKP eine der wenigen Einrichtungen im Raum Stuttgart gewesen, die solche Kurzeinsätze überhaupt anbot - wissend, dass diese von der Krankenkasse nicht gut vergütet werden, sagt der HKP-Vorsitzende. Insgesamt sei bei dem Verein so die Situation entstanden, dass man im Juni noch keinen Vertrag mit der AOK ausgehandelt hatte, der ab dem 1. Juli hätte gelten sollen. "Das heißt, wir wussten nicht, wie das weitergeht. Wir wussten nicht, wie unsere Arbeit vergütet wird. Insofern konnten wir auch nicht kalkulieren, ob das Geld ausreichen wird", sagt er.

Daran habe auch ein Angebot der AOK nichts geändert: "Das Geld, dass man uns angeboten hatte, wäre für uns kein Entgelt gewesen, mit dem wir als kleiner Verein überlebt hätten". Auch die Bitte der HKP, Aushilfs- und Teilzeitkräfte von den zeitintensiven Schulungen auszuklammern, wurde laut Thomas Albrecht nicht angenommen. Deswegen habe sich letztlich der Vorstand dazu entschlossen, allen Mitarbeitenden auf Ende September zu kündigen.

Der Vorsitzende der HKP fürchtet, dass sich in Zeiten von Fachkräftemangel in der Pflege das Problem der Versorgung von schwerbehinderten Kindern weiter verschärft. Auf Anfrage des SWR teilt die AOK mit, dass die Schließung der HKP eine alleinige unternehmerische Entscheidung gewesen sei, die aus Sicht der Krankenkasse hätte verhindert werden können. So hätte die HKP die vertraglichen Voraussetzungen für die häusliche Krankenpflege erfüllt. Außerdem habe die "Häusliche Kinderkrankenpflege e.V." auch die Anforderungen für einen Vertrag zur außerklinischen Intensivpflege Versorgungsvertrag eingehalten.

HKP schließt: Malteser versuchen, Lücke zu füllen

Laut der AOK haben in Baden-Württemberg rund 200 Familien Anspruch auf häusliche Kinderkrankenpflege. Insgesamt gibt es dem statistischen Landesamt zufolge rund 28.000 schwerbehinderte Kinder. In Stuttgart betreute die HKP zuletzt elf Kinder und beriet rund 120 Pflegefamilien. Das bricht nun nach 33 Jahren weg - für betroffene Familien wie die von Gabriela Püschel ist das eine Notsituation. Damit die Pflegesituation sich nicht weiter verschärft, versuchen nun die Malteser das Aus der HKP abzufedern.

Sie versuchen nun von Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis) aus, in Stuttgart einen Pflegedienst aufzubauen, wie Heiko Born (Bezirksgeschäftsführer der Malteser Nord- und Ostwürttemberg) und Heike Nussbaum (Leiterin der Kinderintensivpflege des Malteser Hilfsdienstes der Diözese Rottenburg-Stuttgart) im SWR-Interview erklären. Damit wollen die Malteser auch die Kinder aufnehmen, die bei der HKP betreut wurden. Von den elf Kindern wurden demnach vier für die Betreuung durch die Malteser gemeldet, zwei konnte man bereits aufnehmen. Eine Familie ist zu einem anderen Anbieter gewechselt und ein weiteres Kind musste man aufgrund von Personalmangel leider ablehnen, erzählt Heiko Born. Ob mittlerweile alle Kinder versorgt sind, weiß er nicht. "Aber ich bin mir sicher, dass der Bedarf höher ist, als das, was wir gerade bedienen können".

Für mehr fehle schlicht das Personal, sagt Heike Nussbaum. Denn gerade in der Kinderkrankenpflege seien die Herausforderungen groß: "Viele können die Krankheiten der Kinder nicht ertragen, weil man eine enge Bindung aufbaut zu den Kindern und den Familien. Da ist es für viele ganz schwer zu sagen: 'Das gehört zum Leben dazu'". Drei Mitarbeitende der HKP konnten die Malteser zwar übernehmen, trotzdem fehle immer noch Personal, sagt Heiko Born. Ihm zufolge betreuen die Malteser mit rund 100 Mitarbeitenden knapp 60 Familien in einem Gebiet von Aalen (Ostalbkreis) bis nach Stuttgart.

Neuer Pflegedienst für Betroffene gefunden

Gabriela Püschel ist mittlerweile mit ihrer Tochter bei einem Pflegedienst in Freiberg am Neckar (Kreis Ludwigsburg). Bei der HKP hatte ihre Tochter 100 Stunden pro Monat Betreuung. Hätte sie keinen neuen Pflegedienst, wüsste sie nicht wie es weitergeht: "Ich habe noch zwei andere Kinder, mein Mann arbeitet. Ich kann diese ganze Arbeit gar nicht schaffen", sagt die Mutter. Auch das sei Teil des Fachkräftemangels in der Pflege: "Es ist gar nicht möglich, dass beide arbeiten gehen können. Das ist sehr belastend", erzählt die ausgebildete Journalistin. Ohne ein privates Hilfsnetzwerk könne man das nicht alles stemmen.

Noch dauere es, bis sie und auch ihre Tochter sich an die neue Pflegekraft gewöhnen. Der Pflegekraftmangel sei ein "großer Preis", den die betroffenen Familien zahlen müssten, sagt Gabriela Püschel zum Abschied. Dann sind die 15 Minuten vorbei und sie muss sich wieder um ihre Tochter kümmern.

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