Bauplatz in Gammelshausen. Hier soll bald mit dem Hausbau angefangen werden.

Urteil sorgt für Unsicherheit

Häuslebau oder Natur? Neuer Streit auch in der Region Stuttgart

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Martin Rottach
Reporter Martin Rottach

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einem Urteil gegen ein Baugebiet für Unsicherheiten bei Bauherren und Kommunen gesorgt. Auch in Gammelshausen (Kreis Göppingen) weiß jetzt eine Familie nicht, wie es weitergeht.

In einem Präzedenzfall hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ein Urteil gegen die Ausweisung eines Baugebiets gesprochen. Die Ausnahmeregel, mit der hier ein beschleunigtes Verfahren angewendet wurde, ist demnach nicht mit EU-Recht vereinbar. Viele Kommunen und Bauherren haben jetzt deutschlandweit Angst vor den Folgen des Urteils. Auch eine Familie in Gammelshausen (Landkreis Göppingen).

Leerer Bauplatz aus der Luft in Gammelshausen
Ein leerer Bauplatz in Gammelshausen. Hier sollen eigentlich bald Einfamilienhäuser stehen.

Das Einfamilienhaus - für viele ein Traum

Zwei Häuser werden in Gammelshausen schon gebaut. Viele weitere sollen bald folgen, auch das Haus von Julian Janko und seiner Familie. Für die Jankos wäre das eigene Haus die Erfüllung eines lange gehegten Traums. Die Finanzierung ist bereits unter Dach und Fach, der Kaufvertrag mit der Baufirma ist unterzeichnet. Eigentlich könnte es bei den Jankos bald losgehen mit dem Hausbau.

Ausweisung von Grundstücken ohne Umweltprüfung

Den Bauplatz haben sie von der Gemeinde Gammelshausen gekauft. Diese hatte das Grundstück auf Grundlage einer Ausnahmeregel im Baugesetzbuch ausgewiesen. Die Regel besagt, dass hier ohne aufwändige Umweltprüfungen gebaut werden darf. So sollte das Bauen in Zeiten von knappem Wohnraum erleichtert werden. Hunderte Baugebiete in ganz Deutschland sind so in den vergangenen Jahren entstanden. Zu Unrecht? Das lässt zumindest das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts jetzt vermuten. Es ist eine Entscheidung, die Familie Janko in große Unsicherheit stürzt. Wie geht es jetzt weiter mit ihrem Traum vom Haus? Jede Verzögerung bedeutet für sie Ärger - und mehr Geld.

"Wenn hier jetzt sechs Monate nichts passiert, müssen wir sechs Monate länger Miete zahlen und Bereitstellungszinsen und so weiter."

Warten auf die Urteilsbegründung

Daniel Kohl (parteilos), Bürgermeister von Gammelshausen, steht in dauerhaftem Kontakt zu den Bauherren. Viele rufen bei ihm an und fragen, wie es weitergehen soll, sagt Kohl. Er ist genauso hilflos wie sie und weiß auch nicht, wie es jetzt weitergeht. Vor allem, weil das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zwar schon da ist, die Urteilsbegründung aber noch aussteht. Stand jetzt könne er die Bauherren nur vertrösten, sagt der Bürgermeister. Eigentlich wollte er noch weitere Bauplätze verkaufen, das habe er jetzt aber erst einmal gestoppt.

"Das ist eben das große Problem, das ich sehe. Wir können im Moment nichts sagen."

Umweltverband klagt gegen Ausnahmeregel

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In Gaiberg (Rhein-Neckar Kreis) hat der Landesverband Baden-Württemberg des Bundes für Umwelt und Naturschutz BUND gegen ein Baugebiets geklagt. Denn wo mittlerweile die Häuser stehen, war einst eine Streuobstwiese. Das Baugebiet wurde, wie das in Gammelshausen, ebenfalls nach der Ausnahmeregel im Baugesetz erschlossen. Das sei nicht rechtens, findet BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch.

"Damit konnten Gebiete ausgewiesen werden, ohne zu prüfen: Was ist in der Umwelt, in der Gegend, in der Natur los."

BVerwG: Bebauungsplan ohne Umweltprüfung nicht rechtens

Laut Bundesverwaltungsgericht ist der Passus im Baugesetzbuch nicht mit EU-Recht vereinbar. Freiflächen, die kleiner sind als 10.000 Quadratmeter und außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde liegen, dürften nicht in einem beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung überplant werden. Für Sylvia Pilarsky-Grosch ist das Urteil eine Genugtuung. Sie wolle niemandem den Traum vom Haus vermiesen, sagt sie. Die Umweltverträglichkeit von Neubaugebieten dürfe aber nicht außer Acht gelassen werden.

Generell sehe sie auch die Idee von Einfamilienhaussiedlungen, um möglichst viel Wohnraum zu schaffen, kritisch, sagt sie. Auch Pilarsky-Grosch wartet jetzt auf die Urteilsbegründung, schätzt aber, dass vor allem Kommunen jeweils ein Problem mit ihrem Baugebiet haben werden, wenn dieses innerhalb des letzten Jahres ausgewiesen wurde oder noch in Planung ist. Denn dann habe man noch die Möglichkeit, gegen das Baugebiet vorzugehen. Bauherren in älteren, schon rechtskräftigen Baugebieten müssten sich hingegen keine Sorgen machen, schätzt sie.

Stillstand derzeit in vielen Baugebieten

Viele Bürgermeister und Bauherren rufen derzeit Manfred Metzger aus Bad Boll (Kreis Göppingen) an und bitten um Rat. Metzger ist Stadtentwickler und hat die Baugebiete für etwa 40 Kommunen geplant - die jetzt alle von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betroffen sind, weil sie Baugebiete mit dieser Ausnahmeregel im Baugesetzbuch ausgewiesen haben. Auch Metzger kann zut Zeit nur wenig antworten. Er rechnet aber damit, dass viele Baugebiete nachgebessert werden müssen.

"Den Gemeinden sage ich, dass sie in Kenntnis der Situation bitte aktuell keine Bauplätze verkaufen sollen."

Urteilsbegründung nicht vor September

Auf Anfrage des SWR teilt das Bundesverwaltungsgericht mit, dass mit der Urteilsbegründung erst im September zu rechnen ist. Aus dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen heißt es, man habe die kommunalen Spitzenverbände und die Länder zu einer Besprechung über die Folgen des Urteils eingeladen. "Ziel ist es, gemeinsam einen Handlungsleitfaden für betroffene Kommunen abzustimmen. Bevor dieser fertiggestellt werden kann, muss jedoch die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden", heißt es in einer Mitteilung.

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