Um kurz vor 21 Uhr hatte eine S-Bahn am 11. Oktober zwischen den Haltestellen Favoritepark und Freiberg (Kreis Ludwigsburg) ein E-Bike überrollt. Der Zug war daraufhin fahruntüchtig, und rund hundert Fahrgäste mussten an diesem Mittwochabend stundenlang auf ihre Evakuierung warten. Darunter war auch Carmen Mühleisen aus Marbach, die von chaotischen Zuständen berichtete. Nun hat sich die Deutsche Bahn (DB) zu der langen Wartezeit geäußert und sich auf SWR-Anfrage ausdrücklich bei den betroffenen Fahrgästen für entstandene Unannehmlichkeiten entschuldigt.
Keine rasche Evakuierung wegen Sicherheitsbestimmungen
Ein Sprecher teilte mit, dass die DB um Verständnis bitte. Aus Sicherheitsgründen sei keine schnellere Lösung möglich gewesen. Man habe nur die Option gehabt, die Passagiere in einen Ersatzzug auf dem Nachbargleis umsteigen zu lassen. "Das Gelände, in dem der Zug im Dunkeln zum Halten kam, war mit einer steilen Böschung unwegsam, und auch eine Anfahrt von Bussen war ausgeschlossen", heißt es.
Über zweieinhalb Stunden mussten die Fahrgäste an diesem Abend warten, bis sie in einen Ersatzzug evakukiert werden konnten. Doch es gibt in S-Bahnen keine Toilette. Trotzdem wollte ein Bahn-Mitarbeiter einen Mann mit Behinderung nicht zum Pinkeln rauslassen. Der Mann erleichterte sich letztlich durch eine geöffnete Tür.
E-Bike überrollt und stehen geblieben Stundenlang in S-Bahn eingesperrt: Betroffene berichtet von chaotischen Zuständen
Stundenlang sitzt Carmen Mühleisen in einer S-Bahn zwischen den Haltestellen Favoritepark und Freiberg fest - zusammen mit rund 100 Fahrgästen. In der Wartezeit hilft sie anderen.
Notfallmanager erst nach 50 Minuten vor Ort
Doch wie wird die Evakuierung von einem Zug überhaupt eingeleitet? Die Deutsche Bahn hat einen Leitfaden mit zeitlichen Vorgaben für solche Notsituationen, in denen Fahrgäste aus einem Zug geholt werden müssen. Baden-Württemberg ist dafür in 15 sogenannte Notfallbezirke unterteilt. Für jeden ist ein sogenannter Notfallmanager zuständig. Dieser soll nach maximal 30 Minuten vor Ort sein, so steht es im Leitfaden der Bahn. Das funktioniert in der Praxis aber nicht immer - so wie auch an jenem Mittwochabend bei Ludwigsburg. Nach Aussage der Bahn waren Mitarbeitende des Notdienstes erst 50 Minuten nach ihrer Alarmierung vor Ort und für die Fahrgäste ansprechbar.
Das Problem: Ohne den Notfallmanager darf auch die Feuerwehr, die oft schon recht schnell vor Ort ist, das Gleisfeld nicht betreten. Denn dieser Notfallmanager muss zunächst bestätigen, dass der Verkehr auf der Strecke eingestellt wurde - und im Fall eines Oberleitungsschadens, dass die Oberleitung ausgeschaltet und geerdet wurde. Der Landesbranddirektor für Baden-Württemberg, Thomas Egelhaaf, moniert: "Bei der Feuerwehr erleben wir immer wieder, dass die 30 Minuten nicht eingehalten, sondern teilweise deutlich überschritten werden."
Forderung nach mehr Notfallmanagern
Gero Treuner vom VCD Baden-Württemberg rät der Bahn, das Netz der Notfallmanager zu verdichten, "so dass sie keine weiten Wege haben". Und auch ein erfahrener Lokführer, der anonym bleiben möchte, bestätigt das Problem. Er fordert, dass die Zahl der Notfallmanager verdoppelt werden müsste. "Da muss die Politik endlich Druck auf die Deutsche Bahn ausüben", findet er.
Ein schnell eintreffender Notfallmanager könnte im Zweifel auch eine Evakuierung beschleunigen. Im Fall der festsitzenden Fahrgäste bei Ludwigsburg Mitte Oktober dauerte es am Ende rund dreieinhalb Stunden, bis sie mit dem Ersatzzug am Bahnhof in Ludwigsburg einrollten. Wer in solch eine ungewisse Wartezeit kommt, könne recht wenig tun, sagt Gero Treuner vom VCD: "Man könnte zivilen Ungehorsam zeigen und die Tür selbst öffnen. Das ist aber nicht zu empfehlen. Ansonsten muss man sich im Nachgang beschweren."
Landesbranddirektor Egelhaaf immerhin hat Hoffnung auf Besserung: Erst vor zwei Wochen habe die Bahn in einem Ausschuss der Innenministerkonferenz versprochen, ihr Notfallmanagement zu verbessern. "Man scheint verstanden zu haben, dass es in diesem Bereich dringend Handlungsbedarf gibt", sagt Egelhaaf.
Mögliche Anschlagsserie auf die S4?
Neben der Frage, wie die Evakuierung schneller hätte funktionieren können, bleibt auch die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Wer das E-Bike auf die Gleise gelegt hat, das die S-Bahn überrollt hat, ist nach wie vor unklar. Die Bundespolizei Stuttgart ermittelt, auch weil es mittlerweile insgesamt acht solcher Vorfälle gegeben hat. Seit Anfang Oktober kommt es auf dem Streckenabschnitt Favoritepark-Freiberg immer wieder zu S-Bahn-Unfällen oder Beinahe-Zusammenstößen - meist, weil E-Roller auf die Gleise gestellt wurden. Deswegen wird auch geprüft, ob es sich um einen Serientäter handelt.