Bald Überschuss statt Mangel: An den Grundschulen in Baden-Württemberg könnte der Lehrermangel wegen des Rückgangs der Geburtenzahlen in wenigen Jahren überwunden sein. Das geht aus einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm hervor, die am Freitag in Stuttgart vorgestellt wurde.
Klemm hatte im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg den Lehrkräftebedarf bis 2035 berechnet. Bis Mitte der Zwanzigerjahre sei mit einem schwachen Überangebot an Lehrkräften zu rechnen, das dann weiter wachsen werde, heißt es in der Studie. 2035 rechnet der Bildungsforscher sogar mit einem Überangebot von rund 7.000 Lehrerinnen und Lehrern im Grundschulbereich.
GEW fordert: "Grundschulen vom Abstellgleis holen"
Angesichts dieser Erkenntnisse fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nun von der baden-württembergischen Landesregierung, Spielräume für eine Verbesserung der Grundschulen zu nutzen.
Bisher habe die Landesregierung immer den Lehrkräftemangel als Grund genannt, wenn eine Unterstützung der Grundschulen nicht gelang, so die Gewerkschaft in einer Pressemitteilung vom Freitag. Doch nun zeige die aktuelle Lehrkräftebedarfsprognose, dass es bald möglich sei, "die Grundschulen vom Abstellgleis zu holen".
Die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein forderte von der grün-schwarzen Landesregierung, dies auch in den Haushaltsberatungen zu berücksichtigen. Sie habe Sorge, dass "sinnvolle Dinge" eingespart werden, weil Sparen für die Haushaltsberatung eines der obersten Primate sei, sagte Stein am Freitag. Um eine Verbesserung der Grundschulen zu erreichen, schloss die GEW-Landesvorsitzende auch eine Reform der Schuldenbremse nicht aus. "Wenn wir dafür eine Reform der Schuldenbremse brauchen, ist das die die beste Investition, die wir uns vorstellen können", so Stein laut einer Pressemitteilung vom Freitag.
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Knapp 1,5 Millionen Schüler in BW
Konkret fordert die GEW, die zusätzlichen Lehrkräfte für Verbesserungen wie weniger Schülerinnen und Schüler pro Lehrkraft, Investitionen in die Sprachförderung, den Einstieg in den Ethikunterricht an Grundschulen, mehr Lehrkräfte für Schulen mit einem besonders hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler sowie den Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen einzusetzen. Etwa 400.000 der knapp 1,5 Millionen Schüler und Schülerinnen im Südwesten besuchen die gut 2.400 Grundschulen.
Das sieht das Kultusministerium nicht sehr viel anders. "Die nun entstehenden Spielräume werden dringend für die erforderlichen Mehrbedarfe bei der Sprachförderung und für den anstehenden Rechtsanspruch im Ganztag benötigt", teilte ein Sprecher mit. Zudem könnten die Lehrkräfte beim Startchancen-Programm zum Einsatz kommen oder nach einer Weiterqualifizierung an weiterführenden Schulen arbeiten.
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Kultusministerium will vorsichtig mit Prognose umgehen
Allerdings plädierte das Kultusministerium für einen vorsichtigen Umgang mit den Prognosen Klemms. Bedingungen könnten sich schlagartig ändern, wie etwa der 24. Februar 2022, also der Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, gezeigt habe, teilte ein Sprecher mit. "Außerdem ist zu beachten, dass - so wie der Mangel an Lehrkräften aktuell regional unterschiedlich ausgeprägt ist -, auch nicht davon auszugehen ist, mit den zusätzlichen Lehrkräften im Grundschulbereich überall im Land dann auch alle Stellen besetzen zu können", sagte der Sprecher. Es werde weiter schwierig bleiben, Stellen in unbeliebteren Regionen zu besetzen.
Die Opposition im Landtag warnte davor, wegen der Prognosen zu früh Entwarnung zu geben. "Mit der Nachricht eines eventuell drohenden Überangebots an Lehrkräften geht man auch das Risiko ein, Interessentinnen und Interessenten von der Aufnahme eines Grundschullehramtsstudiums abzuschrecken", sagte die FDP-Abgeordnete Alena Fink-Trauschel. Stattdessen müsse der Grundschulbereich so ausgestattet werden, dass gewisse Schwankungen der Schülerzahlen gut bewältigt werden können. Die SPD betonte, die Prognose dürfe nicht dazu führen, dass die Landesregierung die Hände in den Schoß lege. "Wir brauchen im Land endlich eine Lehrkräfteversorgung, die nicht immer nur auf Kante genäht ist", sagte die schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Katrin Steinhülb-Joos.
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Den prognostizierten Überschuss an Lehrkräften führt Bildungsforscher Klemm vor allem auf einen Rückgang der Geburtenzahlen zurück. Das Statistische Landesamt teilte am Freitag mit, die Geburtenzahlen in Baden-Württemberg seien im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 2014 gesunken. Etwa 97.500 Kinder seien im Land zur Welt gekommen. Das seien rund 7.000 weniger Geburten als im Jahr 2022. Die relativ niedrige Geburtenzahl sei vor allem auf eine gesunkene Geburtenrate zurückzuführen.
So habe sich die durchschnittliche Kinderzahl je Frau von 1,63 im Jahr 2021 auf 1,4 im Jahr 2023 verringert. Gründe für den Rückgang sieht das Statistische Landesamt unter anderem in der schlechteren Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund des Erzieher-Mangels und bei den gestiegenen Wohnungskosten. Auch gesellschaftliche Krisensituationen könnten demnach dazu beigetragen haben.